Faunblut
schloss die Arme so fest um sie, als wollte er sie nie wieder loslassen. Etwas Verzweifeltes lag in der Geste. Und ihr Körper reagierte ganz von selbst, während ihr Verstand noch völlig verwirrt war: Sie schlang die Arme um seine Taille und drängte sich gegen ihn, sog den Duft nach Wald und Haut ein, als wäre er ein köstliches Getränk.
Das darfst du nicht! , schrie die vernünftige Stimme in ihrem Inneren. Er ist dein Feind! Du umarmst deinen Gegner!
Seine Finger fuhren zärtlich durch ihr Haar, und mit einem Schaudern spürte sie, wie seine Lippen über ihre Stirn strichen.
»Keine Angst«, murmelte er beruhigend. »Solange ich da bin, lasse ich nicht zu, dass dir etwas passiert.«
Sie wollte sich aus seiner Umarmung frei machen und weglaufen, doch es gelang ihr nicht, sich auch nur zu rühren. Unendlich behutsam legte er die Hände um ihr Gesicht. Die sanfte Berührung schickte einen Schauer über ihre Haut. Seine Daumen streiften über ihre Lider, ihre Wangenbögen. Die Zukunft und die Vergangenheit verloren sich im Nichts, alles, was blieb, waren der Augenblick und Fauns Atem auf ihren Lippen. Vielleicht ist es so, wenn man nichts zu verlieren hat , dachte Jade benommen. Vielleicht werde ich sterben. Und vielleicht zählt das gar nicht.
Dann fanden seine Lippen ihren Mund und Jade vergaß auch diesen letzten Gedanken. Mit einer Sanftheit, die sie an Faun nicht kannte, küsste er sie – und sie konnte gar nicht anders, als die Berührung zu erwidern. Noch nie hatte es sich so angefühlt. Mit einem Mal verstand sie, warum die Küsse zwischen ihr und Martyn wieder versiegt waren. Es war der Unterschied zwischen Freundschaft – und Fremde. Fauns Lippen lösten sich von den ihren, als müsse er Atem holen. Unter ihren Händen spürte sie, dass er zitterte.
»Ich dachte, du kannst mich nicht leiden«, sagte sie leise.
»Oh Jade!«, flüsterte er. Sie hörte, dass er bei diesen Worten lächelte. Der erste Kuss war ein zartes Tasten gewesen, doch der zweite nahm ihr den Atem und trug sie davon, in eine Dunkelheit von erblühendem Rot und Wärme. Es war unendlich schön – und gleichzeitig schmerzlich wie ein Lachen unter Tränen. Verlust lag darin, und Furcht davor, was morgen sein würde.
Erst nach einer ganzen Weile lösten sie sich voneinander – mit pochenden Lippen und pulsierendem Blut. Die Wirklichkeit kehrte zurück wie ein höflicher Gast, der sich nur langsam wieder nähert, und Jade spürte den Teppich, die Kühle und hörte gedämpft und fern die Wila. Es fühlte sich anders an, Atem zu holen. Es war, als hätte sie jeden Halt verloren – und würde immer noch fallen. Und dann begriff sie, dass es nie wieder so sein würde wie vorher. Das Larimar hatte sich nicht bewegt, aber ihre eigene Welt schon. Jade hatte eine Schwelle überschritten und balancierte auf einem schmalen Grat zwischen dem Gestern und Morgen. Sie streckte die Hand aus und ertastete Fauns Hals, sein Gesicht. Sie lächelte, als er den Kopf neigte und seine Wange in ihre Hand schmiegte.
»Wirst du es bereuen?«, fragte er und räusperte sich. Jade konnte es nicht fassen. Faun – der stolze, spöttische Faun klang besorgt und zaghaft.
Ein Geräusch ließ sie beide zusammenzucken. Das Echo!, war Jades erster, panischer Gedanke. Sie sprangen auf. Faun legte die Arme um sie, als müsste er sie beschützen. Gelblicher Schein erhellte die Ränder der Treppen, im ersten Stock schwenkte jemand ein Öllicht. Die Ahnung von Helligkeit genügte, dass sie sich in die Augen sehen konnten, beide atemlos und angespannt. Es war dieser Moment, in dem sie ihren wortlosen Pakt schlossen.
»Jade?«, fragte eine leise Stimme. »Bist du das?«
Lilinn!
»Ja, keine Angst«, flüsterte Jade. »Alles in Ordnung. Ich … Martyn war nicht da, ich habe lange gewartet, aber sie legen heute Nacht sicher nicht mehr an.«
Bei der Erwähnung von Martyns Namen legte Fauns Arm sich fester um sie.
Lilinn atmete hörbar auf. »Verdammt, Jade! Du hast mir einen solchen Schreck eingejagt. Du hast Glück, dass Jakub nicht aufgewacht ist.«
»Beruhige dich! Ich komme nach oben.«
Nur widerwillig löste sie sich von Faun, doch als sie gerade die Treppen hochgehen wollte, hielt er sie zurück. Für eine Sekunde fand sie sich noch einmal in seiner Umarmung wieder.
Seine Stimme war körperlos, kaum mehr als ein Laut gewordener Gedanke.
»Morgen«, flüsterte er. »Tam wird über Nacht im Palast bleiben, aber ich komme zurück!« Dann war er schon fort,
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