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Faunblut

Faunblut

Titel: Faunblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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wie du.«
    Er schluckte und ließ es zu, dass sie ihn küsste.
    »Dann bist du also einfach jemand mit Mitternachtsaugen«, flüsterte sie. Sie spürte, wie er sich entspannte. »Erzähl mir vom Palast«, sagte sie leise. »Wie ist es dort? Hast du gestern die Lady gesehen?«
    »Du kommst aus der Stadt, nicht ich!«
    »Aber den Palast habe ich noch nie gesehen. Warum auch? Ich bin keine Adelige. Jakub wurde ein einziges Mal vorgeladen. Wegen der Genehmigung für das Hotel. Aber er erzählt nichts darüber.«
    Faun zögerte. »Es war seltsam dort, fast wie in einem wirren Traum«, sagte er dann nachdenklich. »Die Lady trägt eine Maske. Sie ist aus gebürstetem Eisen. Warum zeigt sie ihr Gesicht nicht?«
    »Göttern sieht man nicht ins Gesicht. Die Lady ist gottgleich. So lautet das Gesetz.«
    »Was für Gesetze sind das, die euch Ehrfurcht befehlen können?«
    Darauf antwortete Jade nicht, obwohl die spöttischen Worte ihr einen Stich versetzten. Sklaven muss man die Ehrfurcht eben befehlen , dachte sie bitter.
    »Viele Räume, viele Hallen, die beinahe leer sind«, fuhr Faun fort. »Die Böden bestehen aus rauem Stein. Die Lady schätzt offenbar keinen Prunk. Im ganzen Palast gibt es keinen einzigen Spiegel, nichts glänzt, keine Edelsteine schmücken die Becher. Das wenige Silber funkelt nicht, auch das Gold ist angelaufen und matt. Vor den Fenstern hängen Schleier. Und das Wasser und der Wein sind mit Asche vermischt und stumpf wie Mehlbrühe.«
    »Asche im Wasser?«
    Faun nickte. »Im Audienzsaal sitzen die Lords im Kreis um den Thron. Wie Stundenzeichen auf einer Uhr. Nur der zwölfte Stuhl war natürlich leer.«
    Zwölf Lords, zwölf Stunden, schoss es Jade durch den Kopf. Elf sind es noch. War das Bens Botschaft? Lief die Zeit für die Lords ab?
    »Frierst du?«, fragte Faun besorgt. Mit den Fingerspitzen strich er über die Gänsehaut an ihrem Nacken, was sofort einen weiteren, neuen Schauer über ihren Rücken schickte. Und Faun und ich, wir stehlen uns unsere Zeit wie Diebe.
    Sie fuhren beide auf, als ein winselnder Ruf ertönte. Er kam gedämpft durch die Läden, doch es war ein Laut von solcher Einsamkeit, dass Jade kalt wurde.
    Faun machte sich von ihr los und sprang aus dem Bett. »Ich muss gehen!«
    »Ist das Jay?«, fragte Jade, obwohl sie die Antwort bereits wusste. »Er ruft dich?«
    Faun nickte. Hastig suchte er seine Sachen zusammen und zog sich an. Und Jade wurde mit einem Mal schmerzlich bewusst, dass der allergrößte Teil von Faun ihr ganz und gar nicht gehörte. Das Tattoo und die Narben verschwanden unter goldbesticktem Samt und Leder.
    »Nimm mich mit in den Bankettsaal«, bat sie. »Zeig mir Jay. Ich möchte …«
    »Das geht nicht. Er hasst Menschen und würde dich töten. Ich könnte kaum vor ihm verbergen, dass ich mich … in dich verliebt habe. Und das allein wäre für ihn Grund genug, dich zu töten.«
    Es gab zwei Worte, die Jade trafen. Das eine Wort war töten , aber sie konnte es ertragen. Doch das zweite – verliebt – ließ ihr Herz rasen und gab ihr wieder das Gefühl, den Halt zu verlieren. Als Faun zu ihr kam und sie zum Abschied küsste, schloss sie die Augen und sog den Duft nach Winter tief ein, als müsste sie die Erinnerung daran bewahren.
    »Ich verspreche dir eines«, sagte Faun. »Wenn wir zusammen sind, gibt es nur dich und mich, und es zählt nicht, was da draußen ist. Aber ich bitte dich, verzeih mir, wenn wir nicht allein sind.«
    »Du meinst wohl, ich soll dir vertrauen?«
    Faun schüttelte den Kopf. »Vertrau mir nicht«, sagte er traurig. »Vertraue mir nie, vor allem nicht dann, wenn ich mit Tam zusammen bin!«
    Dann war sie allein auf dem Ebenholzbett, erwacht aus einem Rausch, doch immer noch erfüllt von dieser Sehnsucht, die alles leuchtender machte. Sie zog sich die Segeltuchdecke bis zum Kinn und spürte dem Gefühl des Verlusts nach. Faun fehlte ihr schon jetzt, und sie war sich nicht sicher, ob das gut oder schlecht war. Und als vom Fluss her ein trillernder Pfiff ertönte – ein Erkennungszeichen, das sie seit Kindertagen begleitete –, wurde ihr mit schlechtem Gewissen klar, dass sie seit dem Abend am Hafen kein einziges Mal an Martyn gedacht hatte.
    *
    Jade zog sich hastig ihre Jacke an und stieß die Fensterläden auf. Morgennebel wehte über das Wasser. Auf den ersten Blick sah es aus, als würde Martyn über den Fluss heranschweben. Er saß in einem kleinen Beiboot, das vor allem bei Reparaturen der Fähre zum Einsatz kam, und fuhr

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