Faunblut
der Wila lag Kies, aber in der Mitte des Flussbetts und im Delta gähnte ein Abgrund mit einer tückischen Unterströmung. Fast wie ein zweiter Fluss und mit einem Sog, der durch die schmalen Kanäle zwischen den Felsen verstärkt wurde. Dort, wo das Wasser durch das felsige Nadelöhr floss und keine Möglichkeit hatte, einem Widerstand auszuweichen, hatte die Lady die Turbinen verankern lassen. Sogar die Wila ist ihre Sklavin , schoss es Jade durch den Kopf.
»Elanor hätte es beinahe erwischt«, fuhr Martyn mit belegter Stimme fort. »Sie hat zwar die dritte Turbine wieder freibekommen, aber um ein Haar die Hand verloren.«
Jade riss erschrocken die Augen auf. »Habt ihr sie aus dem Wasser geholt? Geht es ihr gut?«
Zu ihrer Erleichterung nickte er. »Nur ein Kratzer an der Hand, sie hat Glück gehabt. Sie wird nur einige Tage ausfallen.« Vor dem Fluss leuchteten seine Augen noch viel grüner. Die Sorge ließ ihn sehr erwachsen und bekümmert wirken. »Es war ein Seil, das die Blätter blockierte.«
Seile verfingen sich häufiger am Grund, aber die Art, wie Martyn es sagte, klang beunruhigend.
»Was bedeutet das?«
»Was wohl? Dass jemand die Turbinen absichtlich stoppen wollte! Es war nicht das einzige Seil. Und diejenigen, die es an genau der richtigen Stelle in die Unterströmung gebracht haben, legen offenbar nicht einmal Wert darauf, ihr Werk zu vertuschen.« Er seufzte und fuhr sich mit den Fingern durch das Haar. »Arif und Elanor müssen zum Präfekten.«
»Was? Warum?«
Martyn zuckte mit den Schultern. »Eine Befragung.«
Jade überlegte, ob sie sich Sorgen machen musste, und entschied sich dagegen. Wenn die Lady in jemanden Vertrauen setzte, dann waren es ihre Gefolgsleute im Hafen.
»Arif meint, ihr neuer Berater hat etwas damit zu tun.« Er zog vielsagend die Augenbrauen hoch. »Und jetzt rate mal, wer das ist.«
»Tam«, antwortete Jade prompt. »Er war heute Nacht im Palast.«
»Er ist ständig dort. Vorgestern waren sie sogar in Begleitung der Lady mit der goldenen Barke auf der Toteninsel im Gefängnistrakt. Sie waren bei den Verhören dabei.«
»Sie? Du meinst, Faun auch?«
Martyn sah sie seltsam an. Verlegen blickte sie weg.
»Nein, der zweite Nordländer nicht«, sagte Martyn gedehnt. »Zumindest hab ich ihn nicht gesehen.«
Jade schlang die Arme um die Beine. Eine Pause entstand.
»Willst du nicht zu uns kommen?«, fragte Martyn eindringlich. »Wenigstens für ein paar Tage. Elanor ist verletzt, wir kommen zwar auch ohne sie klar, aber du könntest trotzdem an den Winden helfen. Dann wärst du wenigstens nicht in der Nähe der Nordländer.«
Jade schüttelte heftig den Kopf. »Ich muss bei Jakub bleiben.« Eine nasse Locke klebte an ihrem Kinn und sie strich sich unwillig das Haar aus dem Gesicht und knotete es im Nacken zusammen.
»Ist es wirklich Jakub?« Dieser Satz kam schneidend, wie ein Schlag, und Jade zuckte unwillkürlich zusammen.
»Was ist denn mit dir los?«
»Dasselbe könnte ich dich fragen!« Seine Augen funkelten plötzlich vor Zorn, mit einem Mal war die Atmosphäre geladen wie die Luft vor einem Gewitter.
»Kannst du dich vielleicht so ausdrücken, dass ich dich verstehe?«, gab sie zurück.
Martyn sprang mit einem Satz, der das Boot gefährlich zum Schaukeln brachte, zu ihr und griff ihr mit der Hand an den Nacken. Jade war viel zu verblüfft, um sich zu wehren. Sie folgte dem Druck seiner Hand und blickte ins Wasser. Über dem Bootsrand sah sie ihr Spiegelbild auf der Oberfläche treiben.
Eine Jade mit zerwühltem Haar und gespenstisch leuchtenden Augen. Sie sah beinahe erschreckend erwachsen aus. » Ich könnte kaum vor ihm verbergen, dass ich mich in dich verlieht habe «, hallten Fauns Worte in ihrem Kopf.
»Sieh dich an«, sagte Martyn. »Und dann sag mir, was ich davon halten soll!«
Er ließ sie los und Jade zuckte mit den Schultern und beugte sich noch weiter nach vorne. Das Wasser hatte den graugrünen Glanz von Zwielicht und Geheimnissen. Und Jade sah darin zwei Dinge. Das eine, die Spur eines Kusses, ein rotes Mal oberhalb ihres Schlüsselbeins, das sie an Martyn verraten hatte, trieb ihr vor Verlegenheit die Röte ins Gesicht. Doch das andere erschreckte sie so sehr, dass sie sich an den Bootsrand klammerte. Zum allerersten Mal, seit sie denken konnte, war das Mädchen im Wasser einfach nur ein Spiegelbild.
»Er ist es doch? Dieser Faun? Hast du ihn nur geküsst?«, fuhr Martyn sie an. »Oder ist da mehr?«
Jade stieß sich vom
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