Faunblut
sicher?«, fragte sie mit zitternder Stimme.
»Der Junge sah aus wie ein Tandraj«, erwiderte Faun. »Jedenfalls erkannte einer der Wächter, der im Winterkrieg gekämpft hatte, seine Ähnlichkeit mit den Königsbrüdern.«
Junge. Sah aus.
»Also ist er … tot?« Sie wünschte, ihre Stimme würde nicht so verräterisch dünn und hoch klingen.
»Die Lady macht keine Gefangenen«, erwiderte Faun lakonisch.
Es war wie ein Fall ins Bodenlose, einem harten Grund entgegen, ohne eine Chance, dem Aufprall zu entgehen.
Alles umsonst , dachte sie erschüttert. Die Rebellen können nicht siegen.
»Er überlebte den Krieg, weil jemand ihn damals aus der Stadt geschafft hatte«, sprach Faun weiter. »Vielleicht hat er danach in den Wäldern gelebt. Er wusste nicht, woher er kam und wer er war. Nicht einmal sprechen konnte er. Vermutlich hat ihn nur ein unglückliches Geschick wieder in seine Heimatstadt verschlagen.«
»Wie konnte er sich so lange vor Tams Spähern verstecken?«
»Den Narren hilft das Glück«, sagte Faun mit belegter Stimme. »Er trieb sich in der toten Stadt herum. Vor einigen Monaten muss er seine Fähigkeit entdeckt haben. Ich weiß nicht, ob ihm bewusst war, was er tat. Er rief die Echos, wahrscheinlich ist der arme Kerl selbst erschrocken, als sie in der Stadt auftauchten. Und als wir ihn heute fanden …« Ein Schatten huschte über sein Gesicht.
Vielleicht war er es ja gar nicht , versuchte Jade sich zu beruhigen. Kein Narr könnte sich so lange verbergen. Dieser Gedanke fühlte sich besser an.
»Warst du deshalb so wütend? Weil du mit ansehen musstest, wie er ermordet wurde?«
»Er war jung«, erwiderte Faun leise. »Höchstens so alt wie du.«
»Wie ist er gestorben?«
»Lachend«, sagte Faun kaum hörbar. »Er hat tatsächlich gelacht!«
Jade stand mit weichen Knien auf und ging zu ihm. Sie umarmte ihn, küsste seine Augenlider und seine Stirn. Faun rührte sich nicht, erst als sie sein Gesicht mit den Händen umfasste – vorsichtig, ohne die Wunde zu berühren –, erwiderte er ihren Kuss so sanft, dass Jade die Augen schloss. Danach saßen sie nur schweigend da, eng umschlungen, und lauschten dem Regen. Bilder wirbelten in Jades Kopf: die Echos aus dem Traum, Moiras Gesicht, Tanía und die anderen Rebellen. Und immer wieder der Narr – oder doch der Winterprinz? Genügte eine Ähnlichkeit als Beweis? Nein , entschied sie. Mir genügt es nicht. Es gibt immer noch Hoffnung. Sie musste zu Ben! Gleich morgen.
»Tams Aufgabe wird bald erfüllt sein«, sagte Faun nach einer Weile. »Sobald die letzten Echos aufgespürt sind, gibt es für ihn keinen Grund mehr, in der Stadt zu bleiben.«
Sie hatten gemeinsam gelacht, von Reisen geträumt und dabei nie ausgesprochen, dass ihre heimlichen Begegnungen ein Pakt waren, der nur die Gegenwart kannte. Aber nun übertrat Jade diese Grenze.
»Was heißt das?«, fragte sie. »Wirst du mit ihm fortgehen?«
Es fühlte sich seltsam an, über die Zukunft zu sprechen, so als hätte sie einen Schleier vor einem Gesicht weggezogen und würde zum ersten Mal den Menschen dahinter genau betrachten können.
»Vielleicht«, sagte Faun.
»Vielleicht?«, brauste sie auf. »Was hält dich bei ihm? Hast du ihm nicht lange genug gedient?«
»Es … ist nicht so einfach, Jade.«
»Das ist es nie«, erwiderte sie sarkastisch. »Wo zum Henker finde ich dich wieder, wenn du mir verloren gehst?«
Faun lächelte, und endlich erkannte sie ganz und gar den Faun wieder, den sie liebte. »Ich finde dich. Wo du auch bist, ich komme zurück. Ich lasse dich nicht allein.«
Das war ein Versprechen, sie spürte es. Aber sie schaffte es nicht, sein Lächeln zu erwidern.
»Vertraust du mir nicht?«, wollte er wissen.
»Vertrauen ist ein anderes Wort für Kennen. Das hast du zu mir gesagt, erinnerst du dich? Aber manchmal denke ich, ich kenne dich überhaupt nicht – oder nur einen winzigen Teil.«
»Kenne ich dich etwa besser?«, fragte Faun. Ertappt senkte sie den Blick. Das wäre der Moment, ihm die Wahrheit zu sagen , dachte sie. Doch der Moment ging vorbei, ohne dass sie sich dazu überwinden konnte.
Faun lächelte ihr zu und strich ihr eine Locke aus dem Gesicht. »Ich weiß, dass du dir nichts befehlen lässt, aber vielleicht hörst du ja wenigstens auf meine Bitte. Geh wenigstens morgen nicht in die Stadt. Die Lady wird wieder eine Jagd veranstalten. Und es wird Verhaftungen geben.«
»Die Rebellen«, sagte sie mehr zu sich selbst als zu Faun.
Er nickte.
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