Faunblut
Lilinn. Sie hatten die Möbel zur Seite geschoben und tanzten eng umschlungen zu der Melodie einer alten Schallplatte, die sich eiernd auf einem verwitterten Grammofon drehte.
Ihren Vater erkannte Jade kaum wieder. Er trug nicht länger sein speckiges Lederhemd, sondern war in den festlichen taubenblauen Samtmantel gekleidet, den er erst ein einziges Mal in seinem Leben getragen hatte. Und … Lilinn! Jade blieb der Mund offen stehen. Die schöne Köchin hatte ihr Haar gelöst und kümmerte sich nicht im Geringsten darum, dass es ihre Brüste eher betonte als verbarg. Um die Hüften hatte sie sich ein rotes Seidentuch geschlungen, das bei jeder Bewegung um ihre Beine schwang.
So tanzten sie mit einer Hingabe und Versunkenheit, die Jade das Gefühl gab, etwas Verbotenes zu betrachten. Das Foto ihrer Mutter schien in ihrer Hand zu glühen, und sie presste es noch fester an sich, als müsste sie versuchen, die Vergangenheit festzuhalten, die ihr in diesen Augenblicken endgültig und unwiderruflich entglitt. Tausendmal hatte sie sich diesen Augenblick vorgestellt, oft gefürchtet, aber manchmal auch herbeigesehnt, und jetzt, als sie von dem Bild ihrer Eltern als Paar endgültig Abschied nehmen musste, spürte sie nur eine wehmütige Leere. Ja, es fühlte sich an wie Verrat, aber sie musste dennoch zugeben, dass sie sich ihrem Vater so nahe fühlte wie noch nie zuvor. Die beiden Tänzer hatten keine Affäre mehr und sie waren nicht länger nur ihr Vater und die Köchin. Sie waren einfach nur Liebende. Jostan Larimar und seine Fee.
Asche im Wasser
Tam und Faun waren schon zeitig aufgebrochen. In der Küche war es dunkel – nicht nur, weil es noch früh am Morgen war, sondern vor allem, weil Jakub am Vorabend das Küchenfenster mit einer dicken Bretterwand vernagelt hatte, damit keine verirrte Kugel in den Raum dringen konnte. Das Licht flackerte, als wäre es nur eine Frage der Zeit, bis der Strom wieder ausfallen würde. Jade drehte in der Küche nervös die Kaffeetasse in ihren Händen und versuchte, sich keine Sorgen um Faun, um die Feynals und die Rebellen zu machen. Natürlich gelang es ihr nicht, und auch die Tatsache, dass Lilinn in Seelenruhe Fleisch zerteilte und beim Kochen sang, während draußen die ersten Schüsse fielen, verbesserte ihre Laune um keinen Deut. Lilinn hatte ihr Haar heute unter einem fest gebundenen Tuch verborgen und trug ein hochgeschlossenes Kleid. Nur wenig erinnerte noch an die tanzende Fee. Jakub saß am Tisch und schraubte an einem Scharnier herum. Ab und zu nur warf er einen verstohlenen Blick zu Lilinn. Dann wurde sein Gesicht ganz weich und sehnsuchtsvoll und um seine Mundwinkel spielte ein Lächeln. Und Jade ertappte sich dabei, dass sie Lilinn und Jakub darum beneidete, dass sie einfach sein durften, sich umarmen durften, ohne Heimlichkeiten und ohne die Aussicht, sich trennen zu müssen.
»Draußen geht die Welt unter und du singst«, fuhr sie Lilinn an.
»Die Welt geht nicht unter«, erwiderte Lilinn ungerührt. »Sie zittert und schwankt, aber danach wird sie umso fester stehen.«
Jade blickte zu Jakub. Früher hätten sie sich nun mit einem stummen Blick darüber verständigt, ob sie derselben Meinung waren, aber heute beugte sich ihr Vater nur tiefer über das Scharnier.
»Ich hoffe, dass es bald vorbei ist«, brummte er nur. »Und wir wieder leben können wie bisher.«
Jade hatte plötzlich einen bitteren Geschmack im Mund. »Wie bisher?«, sagte sie verächtlich. Keiner von beiden reagierte. Der Wind kam von Osten und trug jeden Schrei und jeden Schuss in solcher Deutlichkeit ins Larimar, dass Jade die Hände auf die Ohren presste. Hoffentlich halten sich die Rebellen zurück!, wiederholte sie in Gedanken ihr Stoßgebet. Hoffentlich ist Faun nicht in Gefahr. Hoffentlich liegt die Fähre außer Schussweite!
»Gibt es etwas Neues über den Lord?«, fragte sie nach einer Weile.
Jakub hörte auf zu schrauben und sah sie endlich an. Aber Lilinn summte weiter. Was ist hier los?, dachte Jade erbost.
»Vier mutmaßliche Rebellen verhaftet«, sagte Jakub. »Drei davon erschossen. Einer verletzt.« Jade zuckte zusammen. Gesichter erschienen vor ihrem inneren Auge, flackerten auf und verschwanden. Und dann kroch die Angst wieder in ihrem Magen hoch. Wen haben sie verhaftet? Was, wenn er unsere Namen verrät? In ihrem Kopf machte sich ein dumpfer Schmerz breit, und sie verzog das Gesicht, als das schrille Kreischen aus ihrem Traum in ihren Gedanken widerhallte.
»Damit muss
Weitere Kostenlose Bücher