Fay - Das Vermaechtnis des Blutes
Nachdem sie sie langsam wieder öffnete, war das Gefährt bereits außer Sichtweite. Stirnrunzelnd starrte sie in die Finsternis und atmete mehrmals tief ein, um ihrem trägen Geist Sauerstoff zuzuführen. Halluzinationen aufgrund von Sauerstoffmangel waren das Letzte, was sie nach allem nicht noch zusätzlich gebrauchen konnte. Es bereitete ihr ohnehin schon Sorgen, dass sich in kürzester Zeit so viele sonderbare Ereignisse angehäuft hatten.
Die lauten Motorengeräusche eines herannahenden Autos ließen sie aufhorchen.
Augenblicklich verwarf sie ihre wirren Gedankengänge und richtete ihre Aufmerksamkeit auf den Vorplatz. Dicke Reifen fuhren über den kiesigen Untergrund. Ein blauer Pickup kam angefahren und näherte sich ihrem Standort. Das Auto sah genauso aus, wie Daphne es beschrieben hatte. Erleichtert ging sie auf den Wagen zu und winkte zögernd dem Mann zu der hinter dem Steuer saß, der demzufolge Jo sein musste. Er stieg aus und kam auf die Beifahrerseite gelaufen.
„Hi, ich bin Dalila“, begrüßte sie ihn schüchtern. Jo sah genauso aus, wie ihn ihre Großmutter charakterisiert hatte.
Nur schien sie offenbar vergessen zu haben zu erwähnen wie umwerfend gutaussehend er war! Im Geiste ging sie die obligatorische Checkliste durch und machte hinter jedem Punkt den sie laut Daphne beachten sollte, einen imaginären Haken. Sein langes schwarzes Haar hatte er zu einem Dutt zusammengebunden und im Nacken baumelten akkurat geflochtene Zöpfe – doppelcheck. Die Blue Jeans, eine Stickjacke und die braunen Stiefel rundeten das Gesamtbild ab.
In den schummrigen Lichtverhältnissen war zwar weder sein blasser Teint noch seine violett schimmernden Augen zu erkennen doch Dalila bezweifelte, dass es sich um eine Verwechslung handeln konnte. Sonderlich erfreut schien er über ihre Ankunft nicht zu sein, denn er verzog keine Miene während er auf sie zulief.
Gerade als Jo seine Hand ausstreckte um die Reisetasche an sich zu nehmen, kam ein zweites Auto in einem Affenzahn auf den Vorplatz angefahren. In hoher Geschwindigkeit raste das Gefährt auf den stehenden Pickup zu.
Zu ihrem Entsetzen musste der Teenager feststellen, dass der andere Wagen eine exakte Kopie des Pickups war. Selbst der Fahrer darin sah aus wie der Mann, der vor ihr stand. Das Mädchen wechselte verdutzte Blicke zwischen den beiden Jos hin und her.
„Dalila nicht, das ist eine Falle!“, rief ihr der Zwillings-Jo wild gestikulierend zu, riss das Lenkrad rüber und bremste scharf, damit das Heck ausbrach und den wuchtigen Pickup so manövrierte, damit die beiden Wagen nicht zusammenstießen. Wie in Zeitlupe drehte sich Dalila zu dem anderen Jo herum und machte große Augen, als sich nun vor ihr eine furchterregende Dämonenfratze mit rotglühenden Augen auftat. Instinktiv erkannte sie die Gefahr und wollte vor der Kreatur flüchten. Doch es war zu spät. Es packte sie an ihrer Jacke und hielt sie mit seinen Klauen fest. Die Bestie riss ihr Maul auf und entblößte dabei messerscharfe Zähne, die spitz wie Nadeln waren. Beinahe ohnmächtig vor Angst konnte sich Dalila nicht mehr rühren.
Im nächsten Moment jedoch stieß das Wesen einen gellenden Schrei aus. Ein furchtbarer Schmerz durchzuckte die Kreatur. Sein Opfer erkannte ihre Chance und reagierte blitzschnell. Sie riss sich los und rannte auf den anderen Pickup zu. Als sie einen Blick über die Schulter riskierte, konnte sie gerade noch erkennen, dass sich das Wesen scheinbar an den Klauen Verätzungen zugezogen hatte. Während es sich noch seine Wunden leckte, löste sich die Kreatur samt dem Pickup auf und hinterließ einen schwarzen Dunst. Nach kurzem Grübeln, was die Schmerzen bei dem Untier wohl ausgelöst haben könnte, fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Die Bestie hatte sie genau dort an der Jacke festgehalten, wo sie die Rabenfeder verstaut hatte.
War es den tatsächlich möglich gewesen, dass die Feder wie in ihrem Traum magische Kräfte besaß die sie beschützten?
Für solche surrealen Gedankenspiele blieb ihr allerdings keine Zeit, denn sie befand sich noch mitten auf der Flucht. Dalila näherte sich dem Pickup mit fliegenden Schritten. Jo hatte ihr bereits die Beifahrertür geöffnet und streckte ihr mit vornübergebeugtem Oberkörper seine Hand entgegen. Als sie nahe genug am Wagen war, ging sie in die Knie und sprang ab. Dabei hatte sie so viel Schwung drauf, dass sie regelrecht auf ihn zuflog. Jo griff beherzt zu, bekam ihr Handgelenk zu fassen und zog sie
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