Fay - Das Vermaechtnis des Blutes
mit einem Ruck in die Fahrerkabine rein, sodass sie in seinen Armen landete. Völlig verängstigt umklammerte Dalila seinen Hals. Jo hielt sie mit einem Arm schützend umschlungen, während er das Gaspedal durchdrückte um sie aus der Gefahrenzone zu bugsieren. Die Reifen drehten auf dem Kies durch. Erst als sie die asphaltierte Straße erreichten, bekam der Pickup genügend Halt. Mit quietschenden Reifen fuhren sie davon und wirbelten eine Staubwolke hinter sich auf. Dalila war von dem kurzen Sprint noch völlig außer Atem, als Jo das Wort an sie richtete.
„Na das war aber knapp, Dalila. Um ein Haar hätten sie dich gehabt! Ich bin übrigens der richtige Jo“, meinte er und knipste das Licht an. Und da konnte sie es sehen. Seine tiefdunkle Iris war von einem violetten Schimmer überzogen. Voller Faszination versank sie in seinen Augen. Seine harmonischen Gesichtszüge und sein blasser Teint übten auf Dalila eine ungemeine Anziehungskraft aus. Jos gesamte Erscheinung war zauberhaft, im Gegensatz zu ihrer eigenen.
Sie selbst fühlte sich nie hübsch. In seiner Gegenward kam sie sich sogar noch unbedeutender vor, als sonst sowieso schon. Weder ihr Gesicht noch ihre blasse Haut hatten ihrer Meinung nach etwas Liebliches an sich. Jo hingegen war das Abbild eines Gottes. Seine vollen Lippen sahen weich aus und die Konturen hatten den perfekten Schwung. Ihre Mund sah im Vergleich zu seinem einfach nur wulstig aus. Seine Brauen formten einen sanften Bogen über den mandelförmigen Augen, die definitiv das Schönste an ihm waren.
Dalila war bis dahin nicht bekannt gewesen, dass das menschliche Augen zu solche einem Farbenspiel fähig war. Sie verlor sich regelrecht in deren unendlicher Tiefe und entspannte sich zusehends.
„Hast du etwa deine Sprache verloren?“, wollte er von ihr wissen. Da erst bemerkte sie, dass sie ihre gute Kinderstube vergessen hatte, denn sie starrte ihn mit offenstehendem Mund an. Dieses Verhalten zeugte nicht gerade von einem guten Benehmen. Verlegen löste sie ihren klammernden Griff um seinen Hals und rutschte von ihm weg.
„Entschuldige bitte, Jo.
Ich bin Dalila, die Enkelin von Daphne Davallia“, entgegnete sie ihm unbeholfen. Jo grinste in sich hinein.
„Ich weiß schon wer du bist, schließlich hat mich deine Großmutter doch darum gebeten dich zu holen“, stellte er klar. Dalila nickte und spürte wie ihr vor Verlegenheit die Hitze ins Gesicht stieg. Seinem Tonfall nach war sie sich unschlüssig, ob er sich über sie lustig machte, oder ob er einfach nur freundlich sein wollte.
Die schier endlose Straße schlängelte sich nassglänzend durch den Wald. Weit und breit waren nur Bäume zu sehen, die am Fahrbandrand vom Scheinwerferlicht erfasst wurden. Wie hölzerne Riesen die in einen jahrtausendelangen Schlaf gefallen waren, bewachten sie die Straße und wurden von den abwechselnden Jahreszeiten in individuelle Muster gehüllt, die sich kleidsam tief durch die Rinde der Baumstämme kerbten.
Dalila löste das festsitzende Gummiband und öffnete ihr streng zusammengebundenes Haar. Schon seit Stunden litt ihre Kopfhaut unter der Spannung. Mit den Händen lockerte sie ihre Mähne und gab einen leisen zufriedenen Seufzer von sich. Voller Sehnsucht blickte sie in die dunkle Nacht hinaus und konnte es nach all der Aufregung kaum noch erwarten endlich ihrer Großmutter gegenüber zu stehen.
Doch dann verfinsterte sich ihre Miene, denn sie konnte sich beim besten Willen nicht erklären, was zuvor an der Bahnstation von Fairyhill geschehen war. Jo beobachtete seine schweigende Beifahrerin aus dem Augenwinkel heraus. Er konnte ihr ansehen, dass etwas nicht mit ihr stimmte.
„Ist alles in Ordnung?“, fragte er besorgt und musterte ihrer Emotionen, die zwischen Trauer und Wut hin und her schwankten. Dalila schüttelte heftig den Kopf und biss die Zähne fest zusammen. Eigentlich hatte sie vorgehabt alles stillschweigend hinzunehmen und keine unliebsamen Fragen zu stellen, doch dann platze ihr der Kragen. Der Übergriff und die einhergehende Beinaheentführung war schlichtweg zu viel für sie gewesen.
„Nein, nichts ist in Ordnung, Jo. Überhaupt gar nichts ist in Ordnung!“, erwiderte sie aufgebracht mit weinerlicher Stimme.
„Erst heute Vormittag habe ich erfahren müssen, dass meine Eltern tot sind und ich an ihrem Tod schuld habe. Dann muss ich aus einem Brief erfahren, dass ich scheinbar doch noch eine lebende Großmutter habe, die ich noch niemals zuvor gesehen
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