Fear
sehe ich. Du bist ja fix und fertig.« Sie bat ihn herein und berührte kurz seinen Arm, gab ihm aber keinen Begrüßungskuss.
Sie sah umwerfend aus: ihr Haar dunkel und glänzend, dazu diese betörenden Augen. Ihr Make-up war einen Deut ausgeprägter als beim letzten Mal, mit Lippenstift in einem dunkleren Pink.
»Möchtest du was trinken? Ich hab eine Flasche Wein offen.«
»Ich bleibe lieber bei Kaffee.«
Um zu erklären, warum er so kaputt war, gab Joe ihr eine Schilderung seines Tages, wie er eigentlich hätte ablaufen sollen: Lieferfahrten in Devon und Somerset und dann die erfundene Panne – nur für den Fall, dass sie sich aus irgendeinem Grund mit Glenn darüber austauschte. Er war kurz davor, Alise zu erwähnen, weil er Ellie klarmachen wollte, dass die Theorie vom blinden Alarm nicht weiter von der Wahrheit hätte entfernt sein können, doch im letzten Moment verkniff er es sich. Nur aus verständlicher Diskretion – oder traute er ihr nicht?
Ellie machte Kaffee, während er am Küchentisch saß. Plötzlich lachte sie auf, und sein Kopf ruckte hoch – er merkte, dass er die Augen geschlossen hatte. Richtig geschlafen habe er nicht, beteuerte er zu ihrer Erheiterung.
Sie gingen ins Wohnzimmer, wo leise der Fernseher lief: Im Wetterbericht wurde vor weiteren heftigen Regenfällen gewarnt.
»Das wäre ja mal was ganz Neues«, scherzte Ellie. Sie hatte sich noch einmal nachgeschenkt und nahm jetzt einen kräftigen Schluck Wein. »Sollen wir den unangenehmen Teil gleich hinter uns bringen?«
»Welchen unangenehmen Teil?«
»Die Knutscherei am Samstag. Wie lautet unsere offizielle Version? Schieben wir es auf den Alkohol?«
Obwohl Joe lachte, war er insgeheim ein wenig gekränkt. Er hoffte, dass sie mit ihrer flapsigen Art nur ihre wahren Gefühle für ihn kaschierte.
»Warum hat Glenn deswegen so ein Theater gemacht?«
»Weil er ein Heuchler vor dem Herrn ist. Und überhaupt, es ist doch gar nichts passiert, oder?«
»Nein«, stimmte er zu. Sie saßen eine Weile in entspanntem, nachdenklichem Schweigen da.
»Falls es dich interessiert«, sagte sie, »am Samstagabend hätte ich mir am liebsten die Kleider vom Leib gerissen und dich in mein Schlafzimmer gezerrt.« Sie sprach langsam und betont und achtete sorgfältig darauf, sich nicht zu verhaspeln. Er fragte sich, wie viel Wein sie schon getrunken hatte.
»Und jetzt?«, fragte er.
»Jetzt bin ich mir nicht mehr ganz so sicher. Ich habe so eine Ahnung, dass du nicht mehr allzu lange hier sein wirst.«
Er merkte, dass sie auf eine Antwort wartete. Und neigte den Kopf, um anzudeuten, dass die Möglichkeit bestand.
»Und so fantastisch ein One-Night-Stand auch sein könnte – ich fürchte, hinterher würden wir uns beide ein bisschen schäbig vorkommen.« Sie betrachtete ihn eingehend. »Du magst von deiner Frau getrennt sein, aber ich glaube, im Grunde deines Herzens bist du immer noch verheiratet. Mein Gott, das hört sich vielleicht kitschig an, aber du weißt, was ich meine, nicht wahr?«
»Ja. Und du hast wahrscheinlich recht.«
»Dann geh«, sagte sie. »Geh jetzt, bevor ich es mir anders überlege und dich in Ketten lege, um dich hier als meinen Sexsklaven zu halten.«
Sie lächelten beide, doch Joe lief es kalt den Rücken herunter. Er dachte an Alise, an Kamila und wer weiß wie viele Frauen vor ihnen.
Ellie registrierte sein Unbehagen. »Erschreckende Vorstellung, hm? Du siehst aus wie neulich, als du mir in der Muschelhöhle umgekippt bist.«
»Mir geht’s gut«, log er. »Bin nur müde.«
Er war gerührt, aber auch enttäuscht, als er ihr in die Diele folgte. An der Tür küsste sie ihn auf die Wange, und er spürte ihre zarten Lippen einen Sekundenbruchteil länger auf seiner Haut, als er erwartet hatte.
»Weißt du was, Joe Carter?«, sagte sie. »Du bist ein Gentleman. Und wenn du am Freitag noch hier bist, darfst du mich gerne zu einem Abschiedsessen ins Crow’s Nest ausführen.«
»Mit dem größten Vergnügen«, sagte er. Aber auch wenn er es ehrlich meinte, war ihm bewusst, dass es sich wie eines jener Versprechen anfühlte, die man beim besten Willen nicht halten konnte.
69
Jenny hasste ihren Entführer. Sie verabscheute ihn. Fürchtete ihn. Verfluchte ihn.
Und jetzt – mehr als all dies – vermisste sie ihn.
Ihr Plan, die verstreichende Zeit festzuhalten, war zum Scheitern verurteilt gewesen, aber auch ohne ihren Kalender wusste sie, dass seit seinem letzten Besuch mindestens drei Tage vergangen waren,
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