Fear
seine Kraft, Reece niederzuhalten. Atmen war nahezu unmöglich – jedes Mal, wenn er kurz Luft schnappen konnte, spritzte ihm die Gischt in den Mund, und er schluckte Salzwasser. Reece fauchte und spie, pure Todesangst in den Augen, weil ihm klar war, dass Joe skrupellos genug war, es tatsächlich zu tun.
Eiskalte Wellen schlugen über ihnen zusammen. Selbst direkt am Rand, wo das Wasser nur wenige Zentimeter tief war, übte das ablaufende Wasser einen enormen Zug aus und zerrte an ihren Haaren und Jacken, während der Regen auf ihre Körper niederpeitschte und der Schieferstrand unter ihnen zu schlingern und zu rutschen schien. Joe registrierte vage, dass sie beide vor Verzweiflung und rasender Wut brüllten, und beide wussten, dass es jetzt nur noch auf schiere Entschlossenheit ankam: Nur einer würde überleben, und es würde derjenige sein, der es am meisten wollte.
Für Joe gab es nie einen Zweifel. Selbst als Reece’ Finger nach seinem Gesicht und seinem Hals krallten, selbst als Sterne vor seinen Augen tanzten und sein Herz so wild pumpte, dass er glaubte, es müsse platzen, selbst da wusste er noch, dass er es sein würde. Er wollte es am meisten.
Am Ende schloss er die Augen und hielt sie geschlossen. Nicht weil er den Anblick nicht ertragen konnte, sondern weil sein Bewusstsein ihn an einen anderen Ort entführt hatte, und als er wieder zu sich kam, war er gefährlich unterkühlt, das Wasser zog und schob ihn über den Schiefer, ließ ihn Zentimeter um Zentimeter näher an die Kante rücken, während Reece flach auf dem Rücken lag mit dem Kopf unter Wasser, die Arme wie in einer Geste der Kapitulation seitlich ausgestreckt.
Joe schob die Leiche ins Wasser, überließ sie der hungrigen See. Dann kroch er ein Stück die Böschung hinauf, bevor er innehalten musste, um sich so heftig zu übergeben, dass alles wehtat.
Er spuckte Galle und Regenwasser aus, wischte sich das Gesicht und blickte zum Weg auf, wo Bruce ihn erwartete. Die ganze Zeit hatte er gewusst, dass Bruce die eigentliche Bedrohung war, der echte Kämpfer von den dreien.
Der leichtere Teil der Übung lag hinter ihm.
78
Cadwell ließ den USB-Stick wieder in die Tasche gleiten und wartete auf Leons Reaktion. Doch Leon, der genau wusste, was sich darauf befand, beschloss, nichts zu sagen.
Cadwell war des Schweigens schnell überdrüssig. »Dann hat Alise also überlebt?«
Leon nickte. »Joe hat mit ihr gesprochen. Das ist einer der Gründe, warum er verschwinden musste.«
»Das beseitigt nicht die Bedrohung.«
»Alise stellt für mich keine Bedrohung dar.«
»Ach nein?«, meinte Cadwell. »Da wäre ich mir aber nicht so sicher.«
Leon grinste und verschränkte die Hände im Nacken. »Wieso? Etwa wegen deines kleinen Speichersticks da?«
»Genau.« Falls Cadwell enttäuscht war, weil Leon ihm den Wind aus den Segeln genommen hatte, konnte er es gut verbergen. Fenton war nicht so aalglatt; verwundert klappte er seinen Goldfischmund auf und zu.
»Du bist auch auf diesem Video«, sagte Leon. »Wenn ich mich recht erinnere, hast du dir praktisch einen runtergeholt.«
Cadwell wurde rot. »Ich habe darauf geachtet, nicht ins Bild zu kommen. Und es wurde ohne Ton aufgenommen.«
»Du Glückspilz. Und was hast du jetzt damit vor?«
»Nichts. Das nennt sich ›Gleichgewicht des Schreckens‹.« Ein herablassendes Lächeln. »So weit kannst du mir doch folgen, oder?«
Leon ignorierte ihn und starrte Fenton an. »Habt ihr zwei das gemeinsam ausgeheckt?«
»Nein. Es war nicht so beabsichtigt. Das Video war ursprünglich nur als … nun ja …«
»Als Privatvergnügen gedacht«, beendete Cadwell den Satz für ihn. »Wir konnten ja nicht ahnen, dass du dich so würdest hinreißen lassen. Während du dich über sie hergemacht hast, habe ich die ideale Gelegenheit erkannt, deinen Schwindel auffliegen zu lassen.«
Leon runzelte die Stirn. »Wie meinst du das?«
Cadwell beugte sich vor und rümpfte seine Hakennase, als ob ihm der Anblick, der sich ihm bot, nicht sonderlich behagte. »Ich brauchte ein belastendes Video von dir, weil du eins von mir hast. Aber hast du wirklich eins?«
»Natürlich.«
»Dann will ich es sehen. Andernfalls muss ich zu dem Schluss kommen, dass du die ganzen Jahre nur geblufft hast.«
Leon suchte noch nach der passenden Erwiderung, als Fenton ihm, ob beabsichtigt oder nicht, eine Rettungsleine zuwarf.
»Leon, bitte. Keiner von uns beiden wollte, dass es dazu kommt, aber deine Weigerung, einen Deal mit Danny
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