Fear
Leon neugierige Seitenblicke zu, wann immer er sich unbeobachtet glaubte.
Sein Name war Giles Quinton-Price. Er war Mitte fünfzig, ein sabbernder Trottel mit fettigen Haaren und einer eigenartig knödeligen Stimme, die es fertigbrachte, zugleich tief und quietschig zu klingen. Es trieb Leon in den Wahnsinn, aber er konnte nicht einfach auf Durchzug schalten oder ihm sagen, er solle die Klappe halten. Er konnte ihm auch nicht einfach eins auf die Fresse geben und ihn in den nächsten Straßengraben schmeißen.
Denn Giles war Journalist bei einer überregionalen Tageszeitung und schrieb einen Sonderbeitrag über Leon und Trelennan. Er begleitete Leon schon seit zwei Tagen auf Schritt und Tritt, und so würde es auch noch mindestens einen weiteren Tag gehen. Leon wusste nicht, wie lange er das alles noch ertragen konnte – dieses knarzende Lachen, das einem in den Ohren wehtat, und seine saudummen Fragen.
Wie zum Beispiel diese: »Sie haben wohl gerade Probleme mit dem Personal?«
»So was Ähnliches.«
»Die lieben Mitmenschen! Können einem den letzten Nerv rauben, was?«
Leon nickte. Solche Armleuchter wie du ganz bestimmt .
»Na ja«, meinte Giles, »aber ein Tag wie dieser macht das doch alles wieder wett, oder?«
»Das kann man wohl sagen.« Leon versuchte, nicht sarkastisch zu klingen, und merkte dann, dass er gar nicht sarkastisch war. Das machte in der Tat einiges wett, wenn man sich zusammen mit dem Polizeipräsidenten ablichten ließ. Damit konnte er es dem Proletenpack aus der Trelawny-Siedlung so richtig zeigen, das ihn von Anfang an abgeschrieben hatte. Und noch mehr den ganzen Bullen, die ihn im Lauf der Jahre zu Fall zu bringen versucht hatten. Jetzt würde er ihrem Boss die Hand schütteln und damit allen zeigen, dass Leon mit ihm auf Augenhöhe war – ein Moment, den er so richtig auskosten würde.
Und das Geschäft würde es auch ankurbeln. Gute Publicity bedeutete, dass noch mehr Geld hereinkam. Sauberes Geld, das man ohne Bedenken ausgeben konnte. Mit dem man ungeniert um sich werfen konnte, wenn man wollte.
Alles ganz anders als in den frühen Tagen.
Der zweite Anruf kam von Derek Cadwell. Kein Angestellter im engeren Sinne, aber einer, der schneller schaltete als Glenn. Ein Mann, der stets seinen eigenen Vorteil im Sinn hatte.
»Diese Ausländerschlampe war schon wieder vor meinem Haus.«
»Hast du mit ihr geredet?«
»Ich hab’s versucht. Aber sie will ja nicht hören.«
»Kenn ich. Manchmal dauert es eben ein bisschen, bis die Nachricht ankommt.«
Derek senkte die Stimme. »Du kannst nicht offen reden? Oh – dieser Journalist ist bei dir.«
»Genau.«
»Verdammt. Wir müssen das in Ruhe besprechen. Sie hat mich regelrecht attackiert.«
»Melde dich bei Clive und mach ein Treffen für den späten Nachmittag aus.«
»Danke.« Eine Pause – da kamen noch mehr schlechte Nachrichten. »Während unserer Auseinandersetzung hat sich noch jemand anders eingemischt. Ein Fremder. Machte einen ziemlich zwielichtigen Eindruck. Er nannte sich Joe.«
»Ach ja?«, erwiderte Leon. Er merkte, wie Giles angestrengt lauschte, um mitzubekommen, was am anderen Ende gesagt wurde.
»Eine unserer Patrouillen war gleich zur Stelle. Reece und der andere Bursche. Ich muss sagen, dieser Joe schien von den beiden nicht sonderlich beeindruckt zu sein.«
»Ich würde mir keine Gedanken machen. Den hab ich schon auf dem Schirm.«
»Ach ja? Du weißt, wer er ist?«
»Wie gesagt, klär das mit Clive. Wir reden heute Nachmittag weiter.«
Leon steckte sein Handy ein. Er wusste, dass er sich jetzt nicht damit aufhalten durfte, aber wegen des Mädchens musste er etwas unternehmen. Niemand sonst in Trelennan würde je ein böses Wort über ihn verlieren, aber die Frau war eine gefährliche Spinnerin und laberte jedem die Ohren voll, der bereit war, ihr zuzuhören. Und ein Einfaltspinsel wie Giles würde nicht unbedingt merken, dass das alles nur dummes Geschwätz war.
Und dann war da dieser Typ. Es musste derselbe sein, den Glenn beschrieben hatte. Ein Exbulle, der ohne Auto und Gepäck bei Diana aufkreuzte und sich bei ihr häuslich einrichtete. Möglich, dass er auf der Flucht war, und wenn es so war, dann musste Leon herausfinden, warum. Niemand war so gut im Wittern von Chancen wie Leon.
Aber in einem Punkt hatte Glenn recht. Einmal Bulle, immer Bulle. Und in dem Fall stellte der Typ keine Chance dar, sondern vielmehr ein Ärgernis. Eine Bedrohung.
Einen Moment lang vergaß Leon das Bild, das er
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