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Fear

Fear

Titel: Fear Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Bale
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dies auf nüchterne, distanzierte Weise verstehen, doch aus eigener Erfahrung konnte er es noch unmittelbarer nachempfinden. Mit jeder falschen Spur, jeder Sackgasse geht wieder etwas mehr Energie verloren, und am Ende bleibt man erschöpft, entmutigt und sogar verbittert zurück. Er wusste, dass die Betroffenen mit der Zeit einen regelrechten Groll auf den vermissten Menschen entwickeln konnten, dem sie die Schuld an ihrem Unglück und ihrem Versagen gaben.
    All dies konnte Joe bei Alise beobachten. Er sah es in ihrer Körpersprache, in den Falten in ihrem Gesicht, in ihrem Lächeln, das immer irgendwie aufgesetzt wirkte. Vor allem sah er es in der langen Pause, die nun eintrat, während sie abzuwägen versuchte, wie viel sie preisgeben sollte. Die Geschichte vom Verschwinden ihrer Schwester zu erzählen würde kostbare psychische Energie aufzehren, und nachdem sie diese Prozedur schon viele Male durchgemacht hatte, war ihr sicherlich daran gelegen, diese Energie nicht zu vergeuden.
    Während sie noch überlegte, näherte sich die Bedienung, eine kräftige Frau in den Fünfzigern mit kurzen Haaren, die zu einer festen Dauerwelle frisiert und aus unerfindlichen Gründen grellorange gefärbt waren. Joe bestellte Kaffee und einen Scone, Alise noch eine Kanne Tee. Dann, nachdem ihre Entscheidung gefallen war, schilderte sie die Situation in einer stakkatoartigen Aufzählung.
    »Kamila ist zwanzig, drei Jahre jünger als ich. Wir kommen aus Lettland. Ich wohne seit vier Jahren in England. In London. Kamila ist letzten Sommer nach England gekommen. In Lettland studiert sie Betriebswirtschaft. Ich habe ihr geholfen, Job in Hotel zu finden. Sehr lange Arbeitszeiten. Schlechte Bezahlung. Nette Leute, aber auch viele grobe, gemeine Leute.«
    Joe nickte. Das konnte er nur bestätigen.
    »Aber das ist gute Möglichkeit, Englisch zu lernen. Sie bleibt ein paar Monate, dann geht sie zurück nach Lettland. An Weihnachten sie arbeitet ein paar Wochen, dann nach Hause zum Studieren. Ostern, dasselbe. Dann, im Juni, sie lernt im Hotel einen Mann kennen. Er bezahlt sie, damit sie Urlaub nehmen kann. Er ist viel älter. Ein reicher Mann.«
    Alise zog eine Grimasse, als ob die bloße Vorstellung sie anwiderte. Die Kellnerin brachte ihre Bestellung, und Alise nahm ihre Erzählung wieder auf.
    »Sie fahren zu einem Ort in wunderschöner Landschaft, ein Dorf in … in den Cots-wolds ?« Sie betonte den Namen, als ob er absurd klänge – was, wie Joe zugeben musste, auch irgendwie stimmte.
    »Wir telefonieren, und sie ist so glücklich. Sie will nach dem Urlaub nicht nach Lettland zurück. Aber die nächste Woche ich rede mit ihr, und plötzlich alles ist anders. Sie hat mit diesem Mann Schluss gemacht, will mir aber nicht sagen, warum. Nur dass sie nicht mehr zusammen sind.«
    »Aber sie ist nicht nach London zurückgegangen? Oder nach Lettland?«
    Alise schüttelte den Kopf. »Sie sagte, sie hat genug Geld, um noch mehr von England zu sehen. Das will sie tun und dann nächstes Jahr weiterstudieren.« Alise zögerte und schniefte ein paarmal.
    »Bei diesem Gespräch sie hat mir Angst gemacht. Wenn sie dieses Geld hat, es könnte in Lettland viel mehr nützen. Wir arbeiten immer sehr hart; sparen, was wir können. Für unsere Zukunft«, fügte Alise hinzu. Ihre Stimme drohte zu versagen, als sie das letzte Wort betonte.
    »Und sie ist nach Trelennan gegangen?«, fragte Joe. Er fühlte sich in einen Vernehmungsraum auf dem Revier zurückversetzt, wo er einer traumatisierten Zeugin Informationen zu entlocken versuchte.
    »Zuerst noch andere Orte«, antwortete Alise. »Cardiff, Bristol. Jeden Tag ich schicke SMS. Manchmal ich bekomme Antwort. Manchmal nichts.« Ein zittriger Seufzer. »Dann fährt sie zu entferntestem Ort … etwas mit ›Ende‹?« Sie runzelte die Stirn und versuchte sich an den Namen zu erinnern.
    »Land’s End?«
    »Ja. Dann Newquay. Es gefällt ihr dort. Viele Surfer, viele nette Typen. Sie sagt, sie will vielleicht dortbleiben, sich Arbeit in Hotel suchen. Ich freue mich so für sie. Das klingt eher wie normale Kamila.« Sie schlug sich in einer Geste der Erleichterung die Hände vors Herz. »Dann höre ich, dass sie wieder jemanden kennengelernt hat. Mit ihm will sie nach Trelennan gehen. Ich frage sie, wirst du dort Arbeit finden?«
    Ihre Stimme klang wieder belegt. Die Motorradfahrer starrten Joe ein wenig verächtlich an.
    »Kamila sagt, Arbeit ist nicht nötig. Dieser Mann ist sehr mächtig. Dieser Mann wird für

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