Fear
kurzes, nervöses Lachen. »Woher soll ich wissen, ob Sie nicht einer seiner Spione sind?«
»Hat er denn Spione?«
»Das war ein Witz«, erwiderte Ellie. »Aber Trelennan ist eine kleine Stadt. Die Leute tratschen gern. Ich könnte wetten, dass sie sich schon die Mäuler über Sie und Diana zerreißen. Wenn eine alte Liebe plötzlich bei ihr vor der Tür steht …«
»Ein alter Freund «, korrigierte Joe sie. »Und außerdem gibt es doch einen neuen Mann in ihrem Leben, oder nicht?«
Ellie errötete. »Was?«
»Ich meine Diana. Wenn ich das richtig mitbekommen habe, hat sie einen … Freund.«
»Hat sie es Ihnen nicht erzählt?«
»Noch nicht. Und ich wollte nicht neugierig sein.«
»In diesem Fall steht es mir nicht zu, darüber zu sprechen«, sagte Ellie.
»Okay. Aber da Sie den ganzen Klatsch und Tratsch erwähnten, dachte ich, Sie …«
»Ahem!« Rawle hatte inzwischen die Flucht ergriffen, während Bastian an der Theke stand und finstere Blicke in Ellies Richtung warf. Hinter ihm wartete ein älteres Paar, beide mit mehreren Büchern in der Hand.
»Tut mir leid«, sagte Ellie. »Wenn Sie etwas über Dianas Liebesleben wissen wollen, sollten Sie sie wirklich besser selbst fragen.«
Ellie war immer noch beschäftigt, als Joe die Bücherei verließ. Er hob die Hand zum Winken, doch sie blickte nicht auf.
Draußen erwartete ihn eine angenehme Überraschung: strahlender Sonnenschein und sogar ein Hauch von herbstlicher Wärme. Mit einem Mal wirkte die Stadt bunter und einladender. nicht mehr so abweisend, wenn auch nicht direkt freundlich.
Am unteren Ende der Straße, direkt gegenüber der Hafenmauer, fand Joe das Café, das Ellie erwähnt hatte. Als er stehen blieb, um die Speisekarte im Fenster zu lesen, konnte er den Bachlauf unter der Straße rauschen hören. Ein paar Teenager beugten sich über die Mauer, spuckten ins Hafenbecken und warfen Blätter hinein. Es war der einzige leise Anflug von Rebellion, den Joe seit seiner Ankunft beobachtet hatte, und er fand es auf merkwürdige Weise beruhigend.
Weniger angenehm war die Tatsache, dass er die Speisekarte studieren und überlegen musste, ob er sich einen Kaffee und einen Scone leisten konnte. Als er durch die Scheibe spähte, sah er die junge Frau, Alise, dort sitzen. Das nahm ihm die Entscheidung ab – und auch, dass er es noch ein paar Stunden länger vermeiden wollte, Diana zur Last zu fallen.
Eine Glocke erklang, als er die Tür öffnete. Das Café war klein und urig, nicht einmal ein Dutzend Tische verteilten sich in dem engen Raum. Viele Bilder an den Wänden, die meisten mit Seemotiven, alle mit kleinen Preisschildern versehen. Auf den Tischen lagen geblümte Decken, und auf jedem standen eine laminierte Speisekarte, eingeklemmt zwischen Salz- und Pfefferstreuer, ein Porzellanschälchen mit Zuckerwürfeln und eine Vase mit Trockenblumen.
Zwei weitere Tische waren besetzt, einer mit einem jungen Paar in Motorradkombis, der andere mit zwei älteren Damen. Alise saß in der Ecke und las eine Lokalzeitung. Joe trat neben sie und deutete auf den Stuhl gegenüber.
»Sie heißen Alise, nicht wahr? Darf ich mich zu Ihnen setzen?«
Sie blickte auf und starrte dann auf den freien Nebentisch, als fragte sie sich, ob Joe blind oder schwer von Begriff war.
Er sagte: »Ich bin heute Morgen vorbeigekommen, als Sie den Streit mit dem Bestatter hatten.«
Ihre Augen verengten sich. Joe wurde plötzlich von Schuldgefühlen geplagt, als er sich erinnerte, wie Cadwell sie an der Kehle gepackt hatte.
»Ich wünschte, ich wäre Ihnen eine größere Hilfe gewesen.«
Sie zuckte mit den Achseln und murmelte etwas, das er nicht recht verstand. Er beschloss, noch einen letzten Versuch zu unternehmen.
»Ich habe gehört, wie Sie Cadwell nach Ihrer Schwester gefragt haben.«
Sie stürzte sich regelrecht auf die Bemerkung, als hätte sie ihr einen Energieschub gegeben. »Sie haben Kamila gekannt? Wissen Sie, wo sie jetzt ist?«
Ihre Verzweiflung löste in Joe einen Schauder des Wiedererkennens aus. Genau so hatte er sich am Abend zuvor gefühlt, als er Diana gefragt hatte, ob sie von Helen gehört habe.
Wieder einmal ignorierte er sein stets verlässliches Bauchgefühl, zog sich einen Stuhl heraus und setzte sich.
»Leider nein«, sagte er. »Aber ich würde gerne hören, was passiert ist.«
18
Kaum etwas im Leben kann so sehr an den Kräften zehren wie die vergebliche Suche nach einem vermissten Angehörigen. Seit seiner Zeit als Polizist konnte Joe
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