FebruarNachtsTraum
anspielt. Wenn du dich nicht an die Regeln von Energy Solutions hältst, dann darfst du dir einen anderen Sandkasten und neue Spielkameraden suchen. »Na, wie gut, dass ich fähig genug war, das vergangene Jahr aufzuarbeiten«, meine ich trocken und lehne mich angriffslustiger, als ich mich fühle, auf Frontalkurs über die Tischkante. Krallen sind ausgefahren. Check.
Henrikson wiegt den Kopf, als müsste sich erst noch zeigen, ob das gut ist oder nicht. Und das wird es.
Endlich schauen wir in die Tabellen und tauchen in die Welt der Zahlen ein. Sie sprechen eine eindeutige Sprache, neutral und unmissverständlich. Ein ABC, das ich sicher beherrsche. Energy Solutions kommt im letzten Jahr auf einen Umsatz von 1,35 Millionen Euro, fünf Prozent mehr als im Vorjahr. Außerdem haben wir 100.000 Euro Gewinn erwirtschaftet und unsere Forschung damit unabhängiger aufgestellt. Das ist beachtlich!
Wir steigen immer tiefer ein, bis jeder der im Raum Anwesenden dank meiner Vorbereitung wieder weiß, was im letzten Jahr gut lief. Und was nicht so. Und warum sie nicht mal im Traum dran denken sollten, mir einen anderen Job zu geben. Weil ich den hier nämlich aus dem Effeff beherrsche. Vor lauter Stolz werde ich in meinem Stuhl größer.
Am Nachmittag, nach einer kurzen Sandwichpause und nachdem ich meinen Twix-Stapel bereits auf die Hälfte reduziert habe, gehen wir zum kreativen Part über: der Ideensammlung für neue Projekte. Und unsere Köpfe rauchen, die Flipcharts werden überstrapaziert und die Luft wird dünner und dünner. Andernorts würden wahrscheinlich gleich Atemmasken von der Decke fallen. Hier leider nicht.
Das Berater-Team Langenscheidt-Kern verlangt die Vergrößerung unseres Vertriebsnetzwerks und schwärmt stundenlang von neuen Standorten in Europa. Henrikson fordert endlich professionelle Pressearbeit. Bisher landen Anrufe nämlich entweder bei Jefe oder am Empfang. Mein Boss wünscht sich eine Positionierung unserer Firma zum Thema Fracking. Außerdem soll eine Biomasse-Kooperation mit Alaska geprüft werden.
Ich stelle neue Technikpartner vor, werfe Solarprojekte im Weltall in den Raum und irgendwie habe ich dann noch die fixe Idee, die Treibhausgase aus der Atmosphäre zur Energieerzeugung zu nutzen und und und. Ob unsere Ideen mit dem sinkenden Sauerstoffgehalt im Raum besser oder schlechter werden, kann niemand beurteilen. Aber wenn ich raten müsste …
»Lassen Sie uns heute hier abbrechen. Wir brauchen ja auch noch Themen für morgen.« Als mein Boss García-Müller beinahe um Mitternacht und kurz vorm Erstickungstod das Meeting für vertagt erklären, verkneife ich mir ein erleichtertes Schnaufen und zeige kein Anzeichen von Schwäche. Alle Männer im Raum warten nur darauf. Aber seit wann mache ich bei einer Nachtschicht schlapp? Liebe Leute, ich wurde letzten Monat gekidnappt! Da bedarf es schon härterer Geschütze, um mich kleinzukriegen. Außerdem liebe ich Challenges und habe schon als kleines Kind gerne mit den großen Jungs gespielt. Eines weiß ich damals wie heute: Egal, wie physikalisch unmöglich es ist, ich möchte den Wettbewerb im Weitpissen unbedingt gewinnen. Wieder und wieder.
»Wunderbar, dann können wir uns ja jetzt um unser 7-Gänge-Menü kümmern.« Leichtes Schmunzeln in der Runde. »Alle, bis auf Frau Schneider«, legt mein Boss noch einen drauf.
Die Herrenrunde lacht über Jefes Witz, auch ich, obwohl ich ihn nicht verstehe. Mein Doktorvater rät mir immer, ich soll mich nicht einschüchtern lassen und jedes Bier mittrinken, das angeboten wird.
Wir trennen uns mit Sprüchen wie »Ist ja erst Nachmittag!« Dabei ist Jefe zweimal in der letzten halben Stunde vom Sekundenschlaf übermannt worden. Fit sieht anders aus.
Von Alexander fehlt vor dem Konferenzraum jede Spur. Bestimmt hat er sich ein bequemes Plätzchen gesucht, um entspannt auf meine Rückkehr zu warten. Auf dass er auch müde ist. Mein Akku ist zu leer für weitere Kabbeleien.
Solange ich meine Herren Kollegen noch höre, eile ich leichten Schrittes Richtung Büro. Kaum biege ich um die Ecke und bin außer Sichtweite, schalte ich einen Gang herunter und recke meine bleischweren Knochen. Das Adrenalin verkrümelt sich fluchtartig aus meinem Körper. Mann, bin ich kaputt! Aber Alexander soll das nicht mitbekommen. Sonst petzt er das wieder meinem Mister Right.
Im Gehen schalte ich mein Handy an und lächle breit, als ich sehe, dass Roman dreimal angerufen und insgesamt sieben Nachrichten geschrieben
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