FebruarNachtsTraum
aufgescheucht über den Felder. Schweine quieken schrill. Der Boden vibriert tatsächlich und dieses Mal deutlich, als würden irgendwo riesige Waschmaschinen in den Schleudergang schalten.
Jan ergreift meine Hand und zieht mich schützend an sich.
Dann steht die Luft still. Und Sekunden später folgt ein brutaler Knall. Die Straße bricht uns unter den Füßen weg. Fühlt sich so an, als würde man für einen Augenblick fliegen, oder wäre in einem sehr schnellen Fahrstuhl unterwegs. Klar, dass das keine sanfte Landung wird. Wir purzeln mit jeder Menge Beton, Drähten, Schutt und Schnee schätzungsweise drei, vier Meter tief.
»Roman wird mich umbringen!«, fluche ich. Ich sollte doch auf mich aufpassen.
»Nein, eher mich!« Jan zupft meine künstlichen Haare zurecht, klopft mir Staub von den Schultern und versichert sich, dass wir beide leben. »Alles noch dran?«
Ich nicke. Geübt in Katastrophen jeglicher Art will ich sofort die Feuerwehr alarmieren. Leider hat mein Handy unter Tage keinen Empfang. Vorsichtig richte ich mich auf und sichte das Ausmaß des Unglücks.
Um uns herum löst sich unsere Besichtigungsgruppe langsam aus ihrer Schockstarre. Niemandem ist bis auf ein paar Schrammen und, ich glaube, zwei oder drei kleinen Knochenbrüchen etwas passiert. Sie stöhnen, aber Lebenszeichen sind unter diesen Umständen Musik in den Ohren.
Vorwurfsvoll schaue ich den Guide an.
»Hier haben wir nicht gebohrt!«, verteidigt er sich blass um die Nase.
»Oh bitte!« Das Erdbeben war bestimmt bis nach Hamburg zu spüren. Und die Schneverdingener Straße haben die Schwingungen zum Einsturz gebracht. Weil Deutschland weder an einem Tiefseegraben noch an zwei aufeinander treffenden Kontinentalplatten liegt, muss die Erschütterung durch den Tiefbau verursacht worden sein, also durch Projekte, wie das, was wir heute besichtigt haben. Und das weiß der Guide so gut wie ich.
Einige Männer der Kommission versuchen den Aufstieg, doch ich schüttle darüber nur den Kopf. Es sind untrainierte Mittfünfziger und wir sitzen ganz schön tief fest. Ab und zu rieseln Schutt und Steine von der Decke. Wenigstens wirkt die Ebene, auf der wir gelandet sind, den Umständen entsprechend stabil.
»Wenn das nächste Mal so was passiert, dann zerre mich so weit wie möglich weg. Klar, Jan?« Ich mustere ihn, doch auch ihm ist bis auf ein paar Abschürfungen an den Händen, einigen Fleischwunden an den Knien und einer Schramme am Kopf wie durch ein Wunder nichts passiert.
Relativ schnell versammelt sich in diesem Ort im Niemandsland nicht nur die freiwillige Feuerwehr, das technische Hilfswerk und die Landespolizei am Einsturzloch, sondern auch die Presse und allerlei Männer in dunklen Anzügen, die sich um das Wohl des Energieministers sorgen und immer wieder etwas von einem Anschlag brabbeln. Na, wenn sie meinen. Ich mummle mich fröstelnd in meinem Mantel, ertrage die Panik mit stoischer Ruhe und versuche nicht an meine Wunden zu denken. Zum Glück ist es hier unten relativ dunkel, denn ich kann kein Blut sehen.
»So kenne ich dich nicht, Miss Energy. Du bist nur still, wenn du isst oder wenn du krank bist.« Jan versucht mich Frostbeule zu wärmen.
»Wir müssen einfach besser werden, Jan. Viel, viel besser.« Ich habe eine Mission, die Welt zu retten, ich habe es genau so erst am Wochenende Alexander erklärt. Aber ist ein Leben dafür ausreichend? Wäre das Unglück zu verhindern gewesen? Oder ist nicht längst alles zu spät und wir leben mit den Folgen der Fehlentscheidungen, die Generationen vor uns getroffen haben?
Obwohl unsere Einsturzstelle für allerlei Aufmerksamkeit sorgt, tut sich eine Ewigkeit lang nichts, außer, dass Helikopter kreisen, die sicherlich von NEWS-TV sind und ab und zu ein Lichtstrahl unser Loch streift. Ich lehne mich vorsichtig, um keine meiner Beulen zu strapazieren, an Jan und er sich an mich und wir schlottern beide in der Kälte. Was dauert das denn so lange?
»GIBT ES SCHWERVERLETZTE?« Eine Megafon-Stimme schallt nach Stunden endlich in unsere Grube.
»EIN! PAAR! KNO! CHEN! BRÜ! CHE!«, ruft Jan zurück.
Der andere setzt sein Megafon nicht schnell genug ab, denn ein paar Schimpftiraden hallen nach unten. Und wenn mir auch die Stimme nichts sagt, so auf jeden Fall der Tonfall. Alexander?!
Über uns entsteht Hektik. Jemand übernimmt endlich über Tage die Koordination der Rettungsmaßnahmen. Ziemlich erschöpft verfolge ich, wie mehrere Rettungskräfte an Seilen herunter gelassen
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