FebruarNachtsTraum
verschwinde ich auf die Toilette, ohne dass mein Bodyguard mir folgt. Seit dem Krankenhauswochenende lässt Alexander mir zum Glück soviel Freiraum.
Ich schließe mich in eine der Kabinen ein, suche ein Foto von Roman heraus, konzentriere mich und küsse es. Einmal … zweimal … bis die Scheibe meines Handydisplays über und über mit Lipgloss beschmiert ist.
Oh nein, so einfach klappt es nicht. Auch wenn unser Leben immer digitalisierter wird, die Liebe scheint davon noch verschont zu sein. Und das bedeutet nur eines: Ich muss Roman von Angesicht zu Angesicht gegenübertreten und zu ihm fliegen, je schneller, desto besser.
Wann ist der ideale Zeitpunkt, um mich spontan vom Acker zu machen? Morgen nicht, dann verpasse ich das Schnitzel All You Can Eat. Danach ist Fasching. Da habe ich Katharina versprochen, mit ihr zu feiern. Also übernächstes Wochenende? Zehn Tage werde ich Alexander noch widerstehen können. Ein Klacks!
Ob ich Katharina davon erzähle? Besser nicht. Mit Toilettenpapier wische ich die verräterischen Spuren vom Display wieder ab.
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»Iss! Iss! Iss! Iss!«
Und falls ich die acht Tage doch nicht durchhalte, esse ich einfach mehr. Denn das deftige Aroma gutbürgerlicher Küche lässt mich alles andere vergessen.
Wie geplant betreten das Laborteam von Energy Solutions plus Katharina, Alexander, ich und ein paar unbekannte Nasen, die zu Jan und Sabine gehören, zwei Tage später Punkt sieben Uhr das Friedrichs106, unseren auserwählten Schnitzel-All You Can Eat-Tempel mitten in Berlin.
Eine Bulldogge von einem Mann sitzt vor einem riesigen Berg Fleisch und wird mit ohrenbetäubendem Lärm angefeuert. Kamerateams begleiten seinen Kampf mit dem Essen. Ein langer, lauter Rülpser zerschneidet die Luft. Fasziniert und abgestoßen zugleich wandern meine Augen immer wieder zum Spektakel.
Alexander nimmt mir den Mantel ab. »Wenn du keinen Hunger hast, musst du auch nichts essen.«
Daraufhin grummelt mein Magen.
»Entschuldige meine vorschnelle Bemerkung. Natürlich hast du Hunger.« Mein Bodyguard klopft auf meinen Bauch, als würde er mit meinem Magen und nicht mit mir sprechen. »Komm, lass uns einfach zu deinen Kollegen und Freunden gehen. Die warten schon.« Er dirigiert mich an den Schultern zu unserem Tisch. »Wir können ja schauen, ob wir alle zusammen so viel schaffen wie der Fleischklops.«
»Hau rein, Matze!« Grölen hallt durch den Gastronomie-Bereich.
In der Mitte unseres Tisches postiert Jan unbeeindruckt das Glas mit den Wetteinsätzen
»Warum ist das so voll?«, will ich wissen.
»Es haben noch mehr Leute teilgenommen.« Jan tauscht einen Blick mit Sabine, der klar vermittelt: Ich habe dir gleich gesagt, dass sie fragen wird.
»Wer noch?« Mit den Fingern trommle ich auf die Tischkante. Mein Puls klettert in ungesunde Höhen und wäre ich eine Comicfigur, so würden mir garantiert Dampfwölkchen aus den Ohren schießen.
»Na ja, die Idee hat sich irgendwie verselbstständigt. Erst Kollegen … dann Freunde … deine Eltern … sogar deine Oma.« Die letzten Worte sind nur noch ein Flüstern.
Spielteilnahme ab 18, Glücksspiel kann süchtig machen. Da haben wir den Beweis. Und ich habe in meinem Paralleluniversum vor lauter eigenen Problemen nichts davon mitbekommen. »Wie viel ist im Jackpot?«
»375 Euro.«
Meine Augen werden größer. Besser ich überschlage nicht, was jeder im Durchschnitt gegeben hat. Sonst rege ich mich noch mehr auf. »Und die Quote?«
Jan schaut mich verständnislos an.
»Und so was nennt sich Spielmeister! Ich bin ab sofort die Bank, damit das klar ist.« Ich entziehe ihm den Zettel und überfliege die Wetten. Sie starten bei einem konservativ geschätzten Stück Schnitzel und enden bei astronomischen Zehn. Ich mache mich ans Werk und kritzle wild auf einer Serviette herum.
»Wusstest du, dass die ersten Wahrscheinlichkeitsberechnungen für das Glücksspiel durchgeführt wurden?«
Ich schaue von meinen Zahlen zu Alexander auf. »Klar. Wobei sonst?« Die wichtigsten Errungenschaften der Menschheit beruhen immer auf Profitgier, Machtbesessenheit oder Bequemlichkeit. Ich weiß sogar, wie die großen Männer hießen, habe aber kein Bedürfnis, mit meinem Wissen zu prahlen. Stattdessen kämpfe ich mit echten Problemen. »Hat mal jemand einen Taschenrechner?« Dadurch, dass die Wahrscheinlichkeit mit der steigenden Anzahl an Schnitzeln abnimmt, wird die Formel komplizierter.
Alle zücken ihre iPhones, Androids, SmartWatches oder alten
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