Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Feder im Sturm: Meine Kindheit in China (German Edition)

Feder im Sturm: Meine Kindheit in China (German Edition)

Titel: Feder im Sturm: Meine Kindheit in China (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Wu
Vom Netzwerk:
der Wahl ihrer Einsatzorte. Trotzdem zogen meine Eltern Erkundigungen über die Lebensbedingungen in den verschiedenen Regionen der Provinz ein. Am Ende entschieden sie sich für eine Kommune im Bezirk Dangtu, fünfzig Kilometer südlich von Wuhu. Als Yiding abreiste, bemitleidete ich ihn. Ich wusste, dass mich im nächsten Jahr dasselbe Schicksal erwartete. Der offiziellen Abschiedszeremonie blieb ich fern. Es war einfach zu schmerzlich, wieder einmal Lebewohl sagen zu müssen.
    Nach meinem Abschluss an der Oberschule wurde ich am 23 . März 1976 mit anderen gebildeten Jugendlichen aufs Land geschickt. Damals war ich siebzehn. Es gab keine Abschlussfeier, unser letzter Schultag verlief wie jeder andere. Da das politische Klima angespannter als im Vorjahr war, hatte ich keinerlei Wahlmöglichkeit. Ich wusste lediglich, dass ich in den Bezirk Jingxian fahren würde. Nähere Einzelheiten wurden uns nicht mitgeteilt. In der Nacht vor meiner Abreise packte ich einen kleinen Koffer mit Kleidung und ein paar Büchern.
    Die Abschiedszeremonie verlief wie all die anderen, die ich bereits erlebt hatte – mit dem einzigen Unterschied, dass diesmal ich in der langen Kolonne mitmarschierte, die einer glorreichen Zukunft auf dem Land entgegenging.
    Am städtischen Busbahnhof war der Sammelpunkt. Hier wartete ein Dutzend alter, rostiger Busse, die man mit roten Papierblumen geschmückt hatte – ein Symbol dafür, dass unsere Unternehmung als ehrenvolle patriotische Tat galt. Als wir dort eintrafen, waren manche Eltern schon da und halfen, das Gepäck ihrer Kinder zu verladen. Eine Schülergruppe schlug halbherzig Trommeln und Gongs. Viele Eltern weinten. Papa und Mama waren mit Yicun erschienen. Ich riss mich zusammen und rang mir ein paar passende Abschiedsworte ab. Meinem kleinen Bruder erklärte ich, dass es nun seine Aufgabe sei, sich um unsere Eltern zu kümmern. Ich ermahnte ihn, sich in der Schule anzustrengen und täglich für Mama auf den Markt zu gehen.
    Um acht Uhr hielt der Bürgermeister von Wuhu eine Ansprache. Der kleine untersetzte Mann trug eine Brille mit dicken Gläsern und einen makellos gebügelten grauen Mao-Anzug. In starkem Dialekt hielt er eine kurze Ansprache. »Dem Ruf des Großen Steuermanns folgen zu können ist eine großartige Sache«, verkündete er. »Ihr sollt auf dem Land Wurzeln schlagen und dort die Revolution für den Rest eures Lebens vorantreiben.« Als er geendet hatte, folgten lautstarke Gesänge, untermalt von Trommelwirbel und dem Dröhnen der Gongs.
    Die Busfahrer ließen die Motoren an. Wir reihten uns hintereinander auf, um in den Bus zu steigen. Plötzlich verdunkelte sich der Himmel, und es begann zu regnen. Kaum hatte ich meiner Familie Lebewohl gesagt, verlor ich die Fassung und begann zu schluchzen. Mama beschloss mitzufahren, weil sie sich wegen meiner Zukunft Sorgen machte. Also stieg sie hinter mir in den Bus. Doch im Gang erwartete uns ein Parteikader. »Eltern dürfen nicht mit«, schrie er sie an.
    »Aber meine Tochter hat gesundheitliche Probleme. Bitte gestatte mir, sie zu begleiten«, bat Mama. Doch der Kader bugsierte sie zur Tür hinaus.
    Wir waren vierzig Jugendliche im Bus. In den ohrenbetäubenden Lärm der Trommeln, der Gongs und der Gesänge mischte sich auch noch das Schreien und Weinen derer, die sich winkend um die Busse scharten.
    Als wir schließlich losfuhren, rannten manche Eltern noch eine Weile neben dem Bus her und klopften an die Scheiben. Ich presste mein Gesicht ans Fenster und winkte schluchzend, während Mama und Papa und mein Bruder in einer Wolke aus Abgasen und Staub verschwanden.
    Ich ließ mich in meinen Sitz sinken und wurde ordentlich durchgerüttelt, während wir quer durch die Stadt und hinaus aufs Land fuhren. Der Parteikader saß kerzengerade auf einem Sitz hinter dem Fahrer und starrte teilnahmslos aus dem Fenster. Tiefe Furchen und Schlaglöcher zwangen den Fahrer dazu, ständig abzubremsen. Immer wieder riss er das Steuer herum wie der Kapitän einer kleinen Dschunke bei schwerem Seegang.
    Jedes Mal, wenn wir durch ein Schlagloch fuhren, erzitterte der gesamte Bus und schepperte wie eine mit Nägeln gefüllte Blechbüchse. Die Schüler hielten sich krampfhaft an den Sitzen fest, um nicht hin und her geschleudert zu werden. Das hielt mein empfindlicher Magen nicht lange aus. Ich rief dem Kader zu, dass ich mich übergeben müsse, und taumelte in den Gang. Der Kader befahl dem Fahrer, die Tür zu öffnen, aber im gleichen Tempo

Weitere Kostenlose Bücher