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Feder im Sturm: Meine Kindheit in China (German Edition)

Feder im Sturm: Meine Kindheit in China (German Edition)

Titel: Feder im Sturm: Meine Kindheit in China (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Wu
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    Die beiden Männer hängten eine Trennwand aus Bambus in der Hütte auf, damit ich ein eigenes Zimmer hatte. Dann bauten Cuihua, Mama und ich dort mein neues Bett zusammen. Den ganzen Tag redeten wir miteinander. Das Leben hier würde nicht leicht werden, meinte Mama und ermahnte mich, vorsichtig zu sein und zu tun, was man mir befahl. »Die Zeiten ändern sich wieder«, sagte sie. »Eines Tages geht auch das hier vorbei. Und dann beginnt für uns ein neues Leben – unser wahres Leben. Ich weiß, es ist schwer für dich, das zu glauben. Aber ich beschwöre dich: Verliere nie die Hoffnung, niemals!«
    Cuihua und ich lauschten ihren Worten und schöpften daraus eine gewisse Zuversicht.
    »Pass auf, dass du genug isst«, fügte Mama hinzu. »Und arbeite nicht zu schwer.«
    Wir kochten Reis und aßen zusammen zu Abend. Danach setzten Mama und ich uns vor die Hütte und betrachteten den Sonnenuntergang.
    »Maomao«, begann sie und tätschelte mir die Hand. »Ich muss dir noch etwas sagen, bevor ich wieder gehe. Erinnerst du dich noch, was geschehen ist, als du in Hefei im Krankenhaus gelegen hast?«
    »Ja. Aber du hast gesagt, ich soll nie darüber reden.«
    »Hast du dich daran gehalten?«
    »Ja.«
    »Als ich dorthin kam und sah, in welchem Zustand du warst, habe ich dich getauft. Weißt du, was das bedeutet?«
    »Nein. Ich erinnere mich nur, dass es nass war.«
    »Maomao«, sagte sie und senkte die Stimme zu einem Flüstern, »ich bin Christin. Und du auch.«
    »Ich weiß nicht, was das ist. Wie bist du es geworden?«
    »Als ich vierzehn war, haben mich mein Bruder und meine Schwester in eine Kirche mitgenommen. Sie waren schon Jahre zuvor Christen geworden, als sie in Peking auf eine katholische Universität gingen. Zuerst fand ich es ganz amüsant. Ich hatte vorher noch nie etwas Derartiges erlebt und war hingerissen von dem Ritual, den Gesängen, dem Weihrauch und den Statuen. Also habe ich sie in der Woche darauf wieder begleitet. Sie haben mir erklärt, worum es ging: dass es einen Gott gibt und einen Sohn Gottes und eine Mutter Gottes. Und sie haben mir gezeigt, dass eine andere Welt existiert. Ich weiß, dass du das, gerade hier in dieser Welt, schwerlich verstehen kannst. Aber du musst das wissen, denn es wird dir Stärke verleihen.«
    Ich hörte aufmerksam zu, beeindruckt von ihrem feierlichen Ernst.
    »Mit fünfzehn wurde ich dann in Tianjin von einem Priester getauft«, fuhr sie fort. »Normalerweise taufen nur Priester. Aber als ich dich in Hefei gesehen habe, fürchtete ich, dich zu verlieren. Deshalb habe ich dich selbst getauft.«
    »Und so bin ich Christin geworden, Mama?«
    »Ja.«
    »Warum?«
    »Weil ich wollte, dass jemand über dich wacht, wenn ich nicht bei dir bin. Weil ich dich niemals an jene verlieren will, die unsere Familie auseinandergerissen und uns gequält haben. Weil es einen Gott gibt, der dich beschützt.«
    »Und warum ist es ein Geheimnis? Warum darf ich es niemandem erzählen?«
    »Weil uns die Kommunistische Partei hasst und fürchtet. Gleich nach Beginn der Revolution haben sie angefangen, Christen einzusperren.«
    »Dich auch?«
    »Nein, ich war noch zu jung. Aber sie haben uns befohlen, den Glauben an unseren Gott aufzugeben. Sie haben behauptet, wir seien ›Gefangene des Aberglaubens‹, und ermahnten uns: ›Säubert eure Gehirne und befreit euch von der Religion.‹ 1951 kamen Polizisten in unser Haus in Tianjin, wo du als kleines Mädchen bei deiner Großmama gelebt hast, und haben es von oben bis unten durchsucht. Dann haben sie deine Tante mitgenommen, sie geschlagen und ins Gefängnis gesteckt. Seit fünfundzwanzig Jahren sitzt sie im Gefängnis, weil sie eine Christin ist und sich geweigert hat, ihren Gott zu verleugnen.«
    »Was passiert, wenn sie es bei mir herauskriegen?«, fragte ich. »Ich habe schon genug Scherereien.«
    »Das wird nicht passieren. Denn niemand weiß davon. Aber du darfst es niemandem anvertrauen.«
    »Das werde ich nicht.«
    »Und denk daran, Maomao«, fuhr sie fort, »wann immer du Hilfe brauchst oder krank bist oder das Gefühl hast, nicht weiterleben zu können … es gibt einen Gott. Schließ die Augen und bitte ihn, dir zu helfen. Und er wird es tun.«
    »Wo ist er?«
    »Er ist hier in den Bergen bei dir. Und er ist auch unten bei uns in Wuhu. Bis du mehr darüber erfährst, sag einfach nur leise: ›Gott helfe mir!‹«
    Tatsächlich verstand ich nicht das Geringste von dem, was sie mir erzählte, und schaute sie ratlos

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