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Feder im Sturm: Meine Kindheit in China (German Edition)

Feder im Sturm: Meine Kindheit in China (German Edition)

Titel: Feder im Sturm: Meine Kindheit in China (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Wu
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heute Abend untergeht
    Und der Adler rastet in seinem Horst,
    Kehren wir zurück an einen merkwürdigen Ort
    Weit unten in der Tiefe,
    Der nicht unsere Heimat ist.
    Die anderen lauschten still. Dann sagte Yiping: »Solch traurige Worte verderben einen herrlichen Tag.«
    »Du bringst mich zum Weinen, Yimao«, beschwerte sich nun auch Cuihua. »An einem solchen Tag sollten wir unsere Sorgen vergessen.«
    Und einer der Jungen ergänzte: »Das ist viel zu melancholisch, Yimao. Wie wär’s denn hiermit?
    Es kreist der Adler um den Gipfel,
    Die tapfere Wu Yimao
    Feuert einen Schuss ab.
    Sie schlägt unser Abendessen in die Flucht
    Und macht sich dabei in die Hosen.
    Wir werden mit leeren Mägen
    Zu Tale steigen.«
    Wir alle lachten, und die traurige Stimmung verflog. Wir saßen eng zusammen, sodass sich unsere Zehen berührten, aßen den mitgebrachten Reis und reichten die Tasse mit heißem Tee herum. Dabei sprachen wir nur wenig. Die Umgebung, aber auch unsere heitere und unbekümmerte Kameradschaft berührten uns tief.
    »Wir sollten lieber absteigen, solange es noch hell ist«, mahnte Yiping, als wir den Reis aufgegessen hatten.
    Der Abstieg gestaltete sich noch mühsamer als der Aufstieg. Inzwischen hatten sich Dunst und Wolken verdichtet, und ich konnte den Pfad unter meinen Füßen kaum erkennen. Wieder ergriff Yiping meine Hand und sprach mir Mut zu. Als wir den grasbewachsenen Hang erreichten, setzten wir uns und rutschten ein Stück bergab. Dennoch war es schon dunkel, als wir unsere Hütten erreichten. Ich war völlig erschöpft, und außerdem tat mir alles weh. Als Cuihua und ich am nächsten Tag mit einem Arbeitstrupp zu einem terrassierten Reisfeld hinaufsteigen mussten, konnten wir mit den anderen nicht mithalten. »Was haben die fünf gebildeten Jugendlichen gestern bloß getrieben?«, wunderte sich Gemeinschaftsleiter Huang. »Da seid ihr einen Berg hinaufgeklettert, ohne dass es irgendeinen praktischen Nutzen gehabt hätte. Weder habt ihr Bambus geschnitten noch Holz oder Pilze gesammelt. Warum, um alles in der Welt, verschwendet ihr mit so etwas eure Zeit?«
    Es wäre unmöglich gewesen, ihm unsere Erlebnisse und Gefühle zu schildern. Deshalb zogen wir es vor zu schweigen.

Kapitel 51
    Z wei Wochen nach unserer Bergtour beschloss ich, zum Mondfest ein weiteres Treffen zu veranstalten. Ich schickte Einladungen an Yiping und seine Freunde und an andere gebildete Jugendliche in den benachbarten Dörfern. Zwei Tage später trafen zehn junge Männer und zwei junge Frauen ein, um mit Cuihua und mir zu feiern.
    Wir hatten jeden gebeten, etwas zu unserem Bankett beizusteuern. Manche Jungen hatten selbst geschossene Vögel mitgebracht, andere hatten auf den Gemeinschaftsfeldern Bambussprossen geklaut. Die Mädchen trugen einen großen, noch grünen Kürbis in unsere Hütte. Gemeinsam kochten wir ein wahres Festmahl. Die Burschen stellten den Tisch nach draußen, und da ein strahlender Vollmond die Nacht erhellte, brauchten wir weder Kerzen noch Lampen. Ich hatte im Laden der Kommune mehrere Flaschen Wein gekauft, den Cuihua und ich den Jungen ausschenkten, für die Mädchen mischten wir ihn mit Wasser. Dann setzten wir uns um den Tisch und schmausten. Die Jungen brachten Trinksprüche aus und wurden zusehends lauter und ungestümer. Während wir aßen und tranken, erzählten wir uns abwechselnd von unserem früheren Leben in der Stadt. Alle klagten über das Leben unter den Bauern und bemitleideten sich. Als es dunkler wurde, zog mich Yiping beiseite und fragte, ob ich einen Spaziergang mit ihm machen wolle.
    Wir stahlen uns davon und schlenderten am Fluss entlang. Dabei sprachen wir über unsere Hoffnungen für die Zukunft und über das gelungene Fest mit den anderen gebildeten Jugendlichen. An einer Stelle am Fluss gab es neben einem mächtigen Weidenbaum einen großen flachen Felsen, und auf diesen setzten wir uns. Der helle Mond verlieh der Nacht etwas Zauberhaftes. Wir ließen unsere Füße ins kühle Nass baumeln und hingen denselben Gedanken nach, hatten aber Angst, näher zueinander zu rücken.
    Da dröhnte eine Stimme hinter uns: »Keine Bewegung, oder ich schieße!« Wir erstarrten.
    Yiping hielt die Hände hoch und rief: »Nicht schießen. Ich bin’s, Zhu Yiping.«
    »Ach, ihr seid’s«, erklang es aus dem Finstern, und Gemeinschaftsleiter Huang trat auf uns zu. Er senkte das Gewehr. »Ihr habt mich erschreckt.«
    »Du hast uns erschreckt!«, erwiderten wir.
    »Ich habe euch für Geister

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