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Feder im Sturm: Meine Kindheit in China (German Edition)

Feder im Sturm: Meine Kindheit in China (German Edition)

Titel: Feder im Sturm: Meine Kindheit in China (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Wu
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mir dort das Reden.«
    Im Militärkrankenhaus 105 füllte der General die Aufnahmepapiere aus. Darin versicherte er, dass er mein Vater und Genossin Pan meine Mutter sei. Dann wurde ich eiligst zur Intensivstation gerollt, wo mich ein Arzt und eine Krankenschwester untersuchten. Ich öffnete die Augen und konnte im grellen Licht das Gesicht des Generals erkennen – er war ein großer, schlanker Mann mittleren Alters mit selbstbewusstem Auftreten. Als er sah, dass ich ihn musterte, lächelte er mich an und flüsterte: »Jetzt wird alles gut. Mach dir keine Sorgen.« Ich zwang mich ebenfalls zu einem Lächeln und blinzelte ihm zu, um zu zeigen, dass ich ihn verstanden hatte. Wieder einmal war ich verwirrt: Die Freundlichkeit dieses Mannes war mir so unverständlich wie die Niedertracht so vieler anderer. Als ich das letzte Mal mit einem Soldaten zu tun gehabt hatte, hatte er mir wehgetan. Jetzt gab sich ein anderer Soldat als mein Vater aus, um mir das Leben zu retten. Warum? Ich verstand es nicht. Und Genossin Pan, die bisher nie ein freundliches Wort für mich übrig gehabt hatte, weil sie mich wegen meiner Herkunft verachtete, spielte meine Mutter! Ich wusste nicht mehr, was ich von ihr halten sollte. So viele Erwachsene um mich herum spielten anscheinend irgendwelche Rollen, die sich aber im nächsten Augenblick grundlegend ändern konnten. Sie waren völlig unberechenbar.
    »Ich vermute spinale Meningitis«, sagte der Arzt zu dem General. »Ich muss deine Tochter von den anderen Patienten isolieren.«
    »Wird sie es überstehen?«, fragte Genossin Pan besorgt.
    »Das kann ich nicht sagen«, erwiderte der Arzt.
    Dann ergriff er eine lange Nadel. Die Schwester richtete mich auf und schob mir das Hemd hoch. Nun führte der Arzt die Nadel in meine Wirbelsäule ein und entnahm mir Rückenmarksflüssigkeit – ohne Betäubung. Der Schmerz war schier unerträglich. Ich quiekte und zappelte ein wenig, aber da ich sehr schwach war, hatte mich die Schwester gleich wieder fest im Griff.
    Dann wurde ich in ein Einzelzimmer gebracht. Der Arzt verordnete mir verschiedene chinesische Arzneien und Akupunktur, um das Fieber zu senken. Doch nichts schien zu helfen, ich wurde stündlich schwächer. Genossin Pan besuchte mich jeden Tag und saß schweigend an meinem Bett.
    Eines Nachts schreckte ich aus dem Schlaf und setzte mich kerzengerade auf. Der Schmerz war weg, und ich schien wieder zu Kräften gekommen zu sein. Ein heller Mond schien durchs Fenster und tauchte das Zimmer in blaues Licht. Ich schlüpfte aus dem Bett und ging ans Fenster. Der Hof unten war leer. Kein Laut drang zu mir, nichts rührte sich.
    Während ich umherblickte, spürte ich, wie sich meine Füße vom Boden hoben. Ich schwebte zur Decke empor und betrachtete das Zimmer von oben. In dem Bett unter mir lag ein kleines, ausgezehrtes Mädchen mit geschlossenen Augen. In jedem ihrer Arme steckte eine Infusionsnadel. Ihr Gesicht war so bleich, dass es sich nicht von der Bettdecke abhob, ihr Atem kaum noch wahrnehmbar. Armes kleines Mädchen, dachte ich. Sie tat mir so leid. Wie konnte ich ihr Leiden lindern? Mir fiel etwas ein, was ich in der Schule gelernt hatte, und ich begann mit ihr zu sprechen. Doch die leise Stimme, die aus meinem Inneren aufstieg, war nicht meine eigene. Es war die Stimme von Tante Liang: »Dein Leben hat nicht lange gewährt, kleine Yimao. Aber jetzt ist es vorbei. Es gibt nichts mehr, was dich in dieser Welt hält. Du kannst sie jetzt verlassen. Komm mit mir.«
    Doch das kleine Mädchen rührte sich nicht. Hatte sie mich überhaupt gehört?
    Ich begann um sie zu weinen. Und ich streckte meine Hand nach ihr aus, konnte sie aber nicht berühren. Meine Tränen fielen wie dicke Regentropfen auf sie herab und zerplatzten eine nach der anderen auf ihrem Gesicht und ihrem Haar. Da flatterten ihre Augenlider wie Schmetterlingsflügel, blinzelnd schaute sie zu mir empor und streckte die Hand nach mir aus. Unsere Fingerspitzen kamen sich immer näher. In diesem Moment schwebte ich wie eine Feder zu ihr hinab. Ihre Arme umschlossen mich, und als unsere Gesichter sich beinahe berührten, sahen wir einander in die Augen, und sie lächelte. Unsere Augenpaare verschmolzen ineinander, unsere Finger, Hände und Arme wurden eins, dann auch unsere Gesichter. Und plötzlich Finsternis.
     
    Ein paar Tage zuvor hatte sich Mama mit Yiding auf den Weg gemacht, um ihn in einer Schule anzumelden, die dreizehn Kilometer vom Dorf Gao entfernt lag. Als sie ihr

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