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Feder im Sturm: Meine Kindheit in China (German Edition)

Feder im Sturm: Meine Kindheit in China (German Edition)

Titel: Feder im Sturm: Meine Kindheit in China (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Wu
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Sünder, jetzt und in der Stunde unseres Todes … Amen.«

Kapitel 32
    M eine Mutter blieb bei mir im Krankenhaus, während Genossin Pan im Kinderbetreuungszentrum auf meinen Bruder aufpasste. Nach meiner Taufe hatte ich noch weitere drei Tage hohes Fieber, doch am Morgen des vierten Tages war es endlich gesunken. Und mein Appetit kehrte zurück. Ich sagte Mama, dass ich Hunger hätte.
    »Möchtest du eine Wassermelone?«, fragte sie.
    »Ja«, antwortete ich. »Gern.«
    Mama fragte den Arzt, ob ich so etwas essen dürfe. Ja, meinte er, das sei eine gute Idee.
    Auf einem Straßenmarkt kaufte Mama eine kleine Wassermelone, schnitt sie auf, löffelte den Saft heraus und fütterte mich damit. Ich konnte tatsächlich ein paar Löffel davon schlucken.
    An ihrem fünften Tag in Hefei ging Mama zur Universitätsverwaltung und bat darum, dass mein Vater mich im Krankenhaus besuchen dürfe.
    Ihr Gesuch wurde abgelehnt.
    Der Arzt war erfreut über die plötzliche Besserung meines Zustands und erklärte, ich dürfe das Krankenhaus verlassen.
    Mama borgte sich einen zweirädrigen Karren und zog ihn zum Krankenhaus. Eine Schwester half ihr, mich hinauszutragen und auf das Holz zu betten. Dann fuhr mich Mama zu unserer neuen Unterkunft, einem Zimmer in einem schmuddeligen Wohnheim, das uns die Universitätsverwaltung zugewiesen hatte. Wir hatten dort weder eine Küche noch ein Badezimmer oder fließendes Wasser, die Betten waren aus rohen Planken gezimmert. In einem Nachbarzimmer wohnte ein ehemaliger Kollege von Mama, der mit Papa zusammen im Kuhstall gewesen war. Da er Mitleid mit uns hatte, stellte er uns ein paar Kochutensilien und einen kleinen Kohleherd zur Verfügung.
    Mama holte Yicun aus dem Kinderbetreuungszentrum zu uns. Und ein paar Tage später kam auch Yiding vom Land zurück, denn wegen der großen Überschwemmung fiel der Unterricht für den Rest des Schuljahres aus. Und so wohnten wir drei Monate lang zu viert in einem düsteren Wohnheimzimmer. Es sei nicht leicht hier, hörte ich Mama zu dem Kollegen sagen, aber doch sehr viel besser als in Gao. Allmählich kam ich wieder zu Kräften. Fürs Erste musste Mama mich allerdings noch ins Badezimmer tragen, denn ich war lange Zeit noch zu schwach, um auch nur stehen zu können.
    Ende September 1969 fuhren wir vier dann nach Gao. Mama hatte einen Laster aufgetrieben, der uns mitnehmen konnte. Ich saß mit Mama in der Fahrerkabine, meine Brüder fuhren mit einigen unserer Habseligkeiten auf der Ladefläche mit. Es war eine lange, anstrengende Fahrt. Der viele Regen in der letzten Zeit hatte tiefe Furchen in die Landstraßen gegraben. Auspuffgase drangen in die Fahrerkabine, und der Fahrer rauchte eine Zigarette nach der anderen. Binnen Kurzem wurde mir schlecht, und ich erbrach mich im Fahrerhaus, worauf der Fahrer mich wütend beschimpfte. Danach fuhr er mit heruntergekurbelten Fenstern weiter und streckte immer wieder den Kopf hinaus, um frische Luft zu schnappen.
    Als wir schließlich in der Nähe des Dorfes hielten, war ich sehr schwach, und jeder einzelne Muskel tat mir weh. Mit unseren Taschen in der Hand mussten wir noch ein paar hundert Meter querfeldein marschieren, bevor wir Gao erreichten. Der Anblick des Dorfes verblüffte mich. Schmutzige Frauen und Kinder in Lumpen kamen uns entgegen. Die Frauen halfen meiner Mutter mit unserem Gepäck. Die Kinder gafften mich an.
    Noch nie hatte ich derartig schmutzige Kinder gesehen. Und keines trug Schuhe. Sie und die Erwachsenen begleiteten uns, als wir durch das Dorf zu einem heruntergekommenen Schuppen gingen. »Das ist euer neues Heim«, sagte Mama, öffnete die Tür und ging hinein. Ich folgte ihr. Und hinter mir drängten sich noch viele andere in die baufällige Hütte.
    Ich war entsetzt. Die Wände waren aus Lehm, die nackte Erde bildete den Boden. Über unseren Köpfen befand sich ein Strohdach. Die Decke war sehr niedrig, vor allem für meine Mutter, die mit ihren 1 , 70  Meter für eine Chinesin ziemlich groß war und die meisten Männer hier im Dorf um fünfzehn Zentimeter überragte. Früher sei dies das Lagerhaus des Dorfes gewesen, erklärte Mama. Man hatte Reis, Saatgut und das Werkzeug der Produktionsgemeinschaft hier deponiert. Dann hatten die Dorfbewohner in der Mitte des Schuppens eine 1 , 20  Meter hohe Lehmmauer hochgezogen und damit unseren Wohnbereich vom Lagerraum abgetrennt.
    In unserer Unterkunft gab es ein Doppelbett. Direkt neben der Tür stand ein Lehmofen, in einer Ecke ein Nachttopf. In

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