FEED - Viruszone
und vor allem war sie genauso verrückt nach mir wie ich nach ihr. Als wir heirateten, gingen wir noch aufs College. Ich wollte Journalist werden und sie Lehrerin – eine Laufbahn, die drei Tage nach ihrem Abschluss aufgeschoben wurde, als ihr Schwangerschaftstest positiv ausfiel. Diesen Test haben wir bestanden, und zwar zu unserer Zufriedenheit. Es war der einzige, den wir bestanden.
Unser Sohn, Ethan Patrick Cousins, wurde am 5. April 2028 geboren. Er wog drei Kilo und siebenhundertachzig Gramm. Eine Routineuntersuchung seiner Körperflüssigkeiten und Körperfunktionen ergab, dass sein Kreislauf von Kellis-Amberlee-Viren wimmelte. Seine Mutter hatte ihn zum Untergang verurteilt, ohne es zu wissen. Weitere Untersuchungen zeigten, dass sich das Virus in ihren Eierstöcken eingenistet hatte und sich dort vermehrte, ohne sie zu infizieren oder ihr Leben in irgendeiner Weise zu beeinträchtigen. Unser Sohn hatte weniger Glück.
Im Prinzip kann ich nicht klagen. Ich durfte neun gute Jahre mit meinem Sohn verbringen, trotz der Vorsichts- und Quarantänemaßnahmen, die sein Leiden mit sich brachte. Er liebte Baseball. An seinem letzten Weihnachtsfest schrieb er an den Weihnachtsmann und bat ihn um ein Heilmittel, »damit Mommy und Daddy nicht mehr traurig sind«. Zwei Monate und sechs Tage nach seinem neunten Geburtstag erlitt er eine spontane Virenvermehrung. Die Untersuchung seines Leichnams ergab ein Körpergewicht von achtundzwanzig Kilo und einhundertachtundsiebzig Gramm. Lisa nahm sich das Leben. Und ich? Ich suchte mir einen neuen Beruf.
Einen, in dem ich nach wie vor die Wahrheit sagen darf.
Aus Und noch ein Stückchen Wahrheit , dem Blog von Richard Cousins, 21. April 2040
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Ich erwachte in einem weißen Bett in einem weißen Zimmer, in einem weißen Baumwollschlafanzug, mit dem widerlich weißen Geruch von Bleichmitteln in der Nase. Nach Luft schnappend setzte ich mich auf und schloss fest die Augen, in dem automatischen Versuch, sie vor den Deckenlichtern zu schützen, bevor mir klar wurde, dass ich beim Aufwachen auf dem Rücken gelegen hatte. Ich hatte direkt ins Licht geschaut, und es hatte kein bisschen wehgetan. Mangelndes Schmerzempfinden ist eines der vielen Warnzeichen für eine Kellis-Amberlee-Überflutung. Hatte die Seuchenschutzbehörde uns deshalb attackiert? Befand ich mich in irgendeiner verkackten Forschungseinrichtung? Es gibt einen Haufen Gerüchte darüber, von denen das eine oder andere wahr sein mochte.
Vorsichtig geworden, hob ich die Hand und berührte mein Gesicht. Meine Finger stießen auf einen dünnen Plastikstreifen über meinen Augen, der so angebracht war, dass er praktisch keinen Druck auf meine Nase oder auf meine Schläfen ausübte. Ich wusste, worum es sich handelte: Polarisierte UV-Blocker-Streifen wurden seit etwa fünfzehn Jahren zur stationären Behandlung von retinalem KA verwendet. Sie sind höllisch teuer – ein einziger davon treibt die Krankenhausrechnung um fünfhundert Dollar in die Höhe, selbst, wenn man den Versicherungsanteil abzieht, und die Dinger sind wahnsinnig empfindlich – , aber sie filtern das Licht zuverlässiger und unauffälliger als jede andere bislang entwickelte Behandlungsmethode. Ich entspannte mich. Also keine Virenvermehrung. Ich war lediglich von der Seuchenschutzbehörde entführt worden.
Es sagt einiges über meine Lage aus, dass ich diesen Gedanken als beruhigend empfand.
Ich schaute mich im Zimmer um. Es war leer, mit Ausnahme von mir, dem weißen Bett mit dem weißen Laken, der weißen Decke und den weißen Kopfkissen, einem weißen Nachttisch mit schaumstoffgepolsterten Kanten, die ihn als Waffe nutzlos machten, und einem großen, getönten »Spiegel«, der den Großteil der Wand neben der Tür einnahm. Mit zusammengekniffen Augen schaute ich durchs Spiegelglas auf den sterilen Flur dahinter. Niemand beobachtete mich. Das sprach dafür, dass ich weiterhin ein Nichtzombie war. Wäre ich infiziert gewesen, dann hätten sie Wachen da draußen gehabt, vorausgesetzt, dass sie überhaupt einen Grund gehabt hätten, mich nicht sofort zu erschießen.
Wäre mein Augenleiden nicht gewesen, dann hätte der »Spiegel« für mich wie ein echter Spiegel ausgesehen und mir die Illusion von Privatsphäre vermittelt, während mich die Ärzte gleichzeitig aus sicherer Entfernung beobachten konnten. Die Tage piepsender Bildschirme und klobiger Maschinen sind vorbei. Inzwischen sind all diese Dinge unauffällig eingepasst, in Form von
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