FEED - Viruszone
Liveübertragung im Zimmer zu hören, das in der plötzlichen Stille umso lauter klang. Selbst Lois, die neben Ricks Monitor kauerte, war mucksmäuschenstill. Sie hatte die Ohren an den Kopf gelegt und die Augen weit aufgerissen.
»… verstanden?« Tates Stimme klang übertrieben laut, verstärkt von den internen Mikrofonen der Wanze und von Shauns Boxen. »Wir lösen dieses Problem, und zwar jetzt, bevor es noch schlimmer wird.«
Eine weitere, unverständliche Stimme erklang. Shaun bemerkte meinen Blick und nickte. Er würde sie von Becks filtern lassen, sobald wir alles gehört hatten. Vielleicht kriegte sie den Ton sauber genug, damit wir erkennen konnten, wer da sprach. Mehr würde sich kaum machen lassen.
»Und ich sage Ihnen, sie kommen uns zu nah. Jetzt, wo diese Meissonier weg ist, können wir sie nicht mehr steuern. Wer weiß, wie viele von ihren verdammten Wanzen sie in den Büros platziert hat. Ich habe Ihnen doch gesagt, dass wir keiner Spionin trauen dürfen.«
Ich hielt den Atem an, und Rick fing an, leise zu fluchen. Nur Shaun war absolut still und hielt die Lippen fest zusammengepresst. Ohne zu wissen, dass er belauscht wurde, fuhr Tate fort: »Ich bin im mobilen Büro ihres kleinen Freunds. Wenn es einen Ort gibt, den sie nicht verwanzt hat, dann den, an dem sie ihre eigenen Sünden begangen hat.«
»Er hat sie nicht besonders gut gekannt«, sagte Rick mit verbitterter, abwesender Stimme.
»Wir auch nicht«, antwortete Shaun.
»Es ist mir egal, wie Sie den Rest abservieren«, bellte Tate. »Kümmern Sie sich darum. Wenn der Seuchenschutz sie nicht erledigen konnte, finden wir eben einen anderen Weg. Verstanden? Kümmern Sie sich darum!« Ein Krachen erklang, als ob jemand einen Hörer grob auf die Gabel knallte, gefolgt vom Geräusch von Schritten. Das Zischen war noch ein paar Sekunden lang zu hören und riss dann so abrupt ab, wie es begonnen hatte.
»Die nehmen nur auf und speichern, wenn Ton empfangen wird«, sagte Shaun überflüssigerweise. Wir wussten alle, wie Buffys Speicherwanzen funktionierten. Man versteckte sie irgendwo, damit sie alles, was sie hörten, aufzeichneten. Wenn es um sie herum still war, verfielen sie in einen Ruhezustand, um ihre Batterien zu schonen. Anscheinend hatte sie die Aufnahmen ihrer eigenen Wanzen nicht angehört, sondern sie nur gespeichert und gesendet, in der heiteren Gewissheit, dass sie auf der richtigen Seite stand.
»Tate«, knurrte Rick. »Dieser Dreckskerl.«
»Tate«, sagte ich. Mir brannten die Augen. Ich schob meine Sonnenbrille wieder runter und schaute von einem zum andern. »Wir müssen uns mit dem Senator treffen.«
»Können wir uns darauf verlassen, dass er nicht in der Sache mit drinsteckt?«, fragte Shaun.
Ich zögerte. »Wie gut ist Becks?«
»Nicht so gut.«
»Na schön.« Ich wandte mich wieder meinem Monitor zu. »Kreischer für alle. Ich will das ganze Team online. Es ist mir egal, wo sie sind, ich will sie hierhaben.«
»Georgia … ?«, fragte Rick unsicher.
Ich schüttelte den Kopf, während ich zu tippen begann. »Sei still, setz dich und mach dich an die Arbeit. Wir haben zu tun.«
In jedem Leben kommt einmal der Moment, in dem man am Scheideweg steht und einem klar wird, dass die nächste Entscheidung auf alles, was man noch tun wird, einen Einfluss haben wird und die Wahlmöglichkeiten in Zukunft vielleicht sehr eingeschränkt sein werden, wenn man sich in diesem Moment falsch entscheidet. Und manchmal ist die falsche Entscheidung die einzige, bei der man sich am Ende noch selbst im Spiegel ansehen kann.
Es ist nicht einfach, solche Momente überhaupt zu erkennen. War es in meinem Leben der Tag, an dem ich beschlossen habe, Reporterin zu werden? Der Tag, an dem mein Bruder und ich uns bei einer Jobmesse eingeloggt und ein Mädchen kennengelernt haben, das sich »Buffy« nannte? Der Tag, an dem wir beschlossen, uns für den Traumjob als Hausblogger der Ryman-Wahlkampagne zu bewerben?
Oder war es der Tag, an dem uns klar wurde, dass wir soeben vielleicht die letzte Tat unseres Lebens vollbrachten … und beschlossen, dass es uns egal war?
Mein Name ist Georgia Mason. Mein Bruder nennt mich George.
Und ich stehe an der Wegscheide.
Aus Unschöne Bilder, dem Blog von Georgia Mason,
8. April 2040
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Es dauerte zwei Stunden und siebzehn Minuten, bis wir alle fest angestellten und freiberuflichen Blogger, Systemadministratoren und Teilbereichskoordinatoren, die für Nach dem Jüngsten Tag arbeiteten, in einem eilig
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