FEED - Viruszone
mindestens eine halbe Stunde auf einen neuen warten.« Sie hielt kurz inne und führte dann den tödlichen Streich: »Einen Tisch drinnen .«
Das waren die perfekten Worte. Das Draußensitzen lässt unsere Familie mutig und abenteuerlustig erscheinen. Das meinen zumindest meine Eltern. Ich finde, wenn man sich ohne Not draußen aufhält, sieht man eher wie ein selbstmordgefährdeter Idiot aus, der es nicht erwarten kann, von einem Zombiereh angeknabbert zu werden. Shaun gibt in dieser Sache beiden Seiten recht – wenn wir schon in der Öffentlichkeit mit unseren Eltern essen müssen, sitzt er lieber draußen, wo die Chance besteht, dass er von einem Zombiereh errettet wird. Aber trotzdem hält er es ebenfalls für dumm. Mom kapiert das nicht. Wenn sie die Wahl zwischen einem Tisch draußen hat, wo die Fotografen ein paar gute Bilder schießen können, und einem drinnen, wo die Leute sich das Maul darüber zerreißen, dass die furchtlose Stacy Mason weich geworden ist … tja, dann ist die Antwort für sie offensichtlich.
Sie ließ ihr – buchstäblich – preisgekröntes Lächeln in Richtung Menge aufblitzen, zog mich in eine »impulsive« Umarmung und verkündete: »Also, Leute, unser Tisch steht bereit.« Unmutsbekundungen ertönten. Ihr Lächeln wurde breiter. »Aber nach dem Essen sind wir zurück. Wenn Sie sich also unterdessen einen Burger holen möchten, können wir meiner Tochter anschließend vielleicht noch ein paar schlaue Statements entlocken.« Sie drückte mich und ließ los, worauf allseitiger Applaus ertönte.
Manchmal frage ich mich, warum keine Nachrichtenseite jemals einfängt, wie ihr Lächeln erstirbt, sobald sie sich von den Kameras abwendet. Es gibt auch ernste Bilder von ihr, aber die sind genauso gestellt wie der Rest: Sie zeigen sie mit kummervoller Miene auf verlassenen Spielplätzen oder vor abgeschlossenen Friedhofstoren. Auf einem – das war, als ihre Quoten so niedrig waren wie nie, in dem Sommer, in dem Shaun und ich dreizehn wurden und uns in unseren Zimmern einschlossen – ist sie vor der Schule zu sehen, die Phillip besucht hat. So ist unsere Mutter, sie verkauft den Tod ihres einzigen leiblichen Kindes für ein paar Punkte im Tanz um die Quote.
Shaun meint, dass ich nicht so hart über sie urteilen sollte, denn schließlich verdienen wir unseren Lebensunterhalt auf die gleiche Weise. Ich sage, dass das bei uns etwas anderes ist. Wir haben keine Kinder. Wir verkaufen nur uns selbst, und ich finde, dass das unser gutes Recht ist.
Dad und Shaun standen vor dem Restaurant und hatten sich gerade so weit weggedreht, dass keins der Mikrofone, die ohne durchzubrennen dem Lärm der Menge standhielten, ihre Worte aufschnappen konnte. Als ich näher kam, hörte ich Shaun in ganz und gar freundlichem Tonfall sagen: »… es ist mir piepegal, was du für ›vernünftig‹ hältst. Du gehörst nicht zu unserem Team. Du kriegst keine Exklusivinterviews.«
»Hör mal, Shaun … «
»Essenszeit«, sagte ich und schnappte mir auf dem Weg Shauns Arm. Er kam ebenso dankbar mit, wie ich eben Buffy begleitet hatte. Shaun, Buffy und ich gingen praktisch Arm in Arm ins Restaurant, während unsere Eltern uns folgten und sich dabei bemühten, ihre Verärgerung zu überspielen. Dumm für sie. Wenn sie nicht wollten, dass wir sie öffentlich in Verlegenheit brachten, durften sie halt nicht mit uns ausgehen.
Unser Tisch entsprach Moms Vorstellungen von einem schönen Plätzchen. Er stand in der hintersten Ecke der Terrasse, nah beim Zaun, der uns zur einen Seite vom Wald und zur anderen von der Straße trennte. Mehrere unternehmungslustige Paparazzi waren uns auf der Außenseite über den Bürgersteig gefolgt und fotografierten nun offen durch die Gitterstäbe. Mom ließ ihr Grübchenlächeln aufblitzen. Dad schaute wissend und weise drein. Ich unterdrückte einen Würgreflex.
Mit einem Vibrieren meldete mein Handy, dass ich eine SMS bekommen hatte. Ich nahm es vom Gürtel und hielt es schräg, sodass ich das Display sehen könnte.
Glaubst du, das lässt nach, wenn wir unterwegs sind? – S.
Ich grinste schief und tippte zurück: Wenn die Quotenmaschine (d.h. »Mom«) hierbleibt? Garantiert. Dann sind wir verglichen mit dem Hauptgericht die Kartöffelchen.
Er schrieb zurück: Ich liebe es, wenn du Menschen mit Essen vergleichst.
Ich bereite mich auf das Unausweichliche vor.
Shaun lachte schnaubend und ließ sein Telefon fast in den Brotkorb fallen. Dad warf ihm einen durchdringenden Blick zu,
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