Feenkind
protestieren konnte.
Fassungslos starrte er sie an.
"Wisst Ihr, ich habe eine Menge über Euch nachgedacht", fuhr sie zwischen zwei Bissen fort. "Ich kann Euch nicht mitnehmen, ich kann Euch nicht trauen, ich will Euch aber auch nicht sterben lassen." Sie sagte das so sachlich, dass es ihn schauderte. Hatte sie seinen Tod etwa ernsthaft als Alternative in Betracht gezogen? Er zog es vor, das nicht zu glauben. Er merkte, dass sie nur versuchte, ihre Unsicherheit zu überspielen. Die toughe Amazone von gestern war eben doch nur ein junges Mädchen, das ganz allein auf sich gestellt war.
"Daher werde ich Euch hier zurücklassen", unterbrach ihre Stimme seine Gedanken. "Euer Pferd nehme ich jedoch mit. Ich werde es nach einer Zeit irgendwo anbinden, so dass es Euch nicht allzu schwer fallen sollte, es zu finden."
Erst jetzt fiel ihm auf, dass sie auch sein Pferd bereits herbeigeschafft hatte.
"Dadurch werde ich einen ausreichenden Vorsprung erhalten, um Euch hoffentlich niemals wieder zu sehen." Mit diesen Worten wischte sie sich die Finger an ihrer Hose ab und erhob sich. Sie löste das Seil, mit dem sie ihren Gefangenen an den Baum gefesselt hatte, und rollte es sorgfältig zusammen, bevor sie es einsteckte. Dann nahm sie das letzte Stück ihres schon recht trockenen Brotes, legte die Reste von Rührei darauf und platzierte alles auf einem flachen Stein. Daneben legte sie das Messer, das sie Chris am Vorabend abgenommen hatte. Dann sattelte sie Bruno und nahm die Zügel des anderen Pferdes in die Hand.
"Macht's gut, Christopher. Ich hoffe, dass unsere Wege sich nicht so bald kreuzen. Denn solltet Ihr noch einmal versuchen, Hand an mich oder meine Sachen zu legen, werde ich nicht so nachsichtig sein." Sie schwang sich in den Sattel und ritt, ohne sich noch einmal umzusehen, davon.
Chris hingegen blickte ihr lange hinterher, selbst als er nicht einmal mehr das Knacken der Zweige auf ihrem Weg hören konnte. Dann kroch er langsam auf sein Messer zu, um seine Fesseln durchzuschneiden.
Kurze Zeit später kaute er nachdenklich auf dem Brot herum, das die junge Frau ihm dagelassen hatte. So etwas war ihm noch nie zuvor passiert. In der Regel konnte er seine Welt mühelos in Kategorien einteilen: in Freunde und Feinde, in Schwächere und Stärkere, in Gefährliche und Menschen, die er für seine Zwecke benutzen konnte. Doch diese Kleine verwirrte ihn. Sie schien, in alle Schubladen gleichzeitig hineinzupassen. Was also sollte er tun?
Er glaubte nicht, dass sie ihm tatsächlich gefährlich werden konnte. Dafür war sie noch nicht hart genug. Er würde sie aber auch nur ungern zur Feindin haben. Und das lag nicht nur an ihren schnellen Reflexen. Sie hatte etwas an sich, das ihn rührte - etwas Reines, Beschützenswertes. Es wäre schade, wenn das verloren ginge. Und dann sah sie auch noch so verdammt hübsch aus. Sie würden beide viel von einer Zusammenarbeit profitieren können. Mit seinem Wissen und ihrem Talent würden ihnen viele Schätze, die bisher unerreichbar waren, offenliegen. In einem Anflug von Großzügigkeit beschloss Chris, dass die Kleine sogar ihre erste Beute behalten durfte, wenn ihr so viel daran lag. Waren sie erst einmal Partner geworden, würde er schon noch auf seine Kosten kommen.
Zuerst musste er das Mädchen jedoch einholen.
Er holte seinen Kompass hervor und schaute darauf. Die Nadel war noch immer auf sie gerichtet. Ihre Spur führte zurück zur Feenhöhle. Wahrscheinlich wollte sie auf diese Weise ihr tatsächliches Ziel vor ihm verbergen. Er lächelte selbstzufrieden. Diese Mühe hätte sie sich auch sparen können.
Er nahm an, dass sie nach Annubia wollte. Wahrscheinlich wollte sie da ihre Beute loswerden. Wenn er sich beeilte, könnte er ihr dabei helfen. Sonst würden die Händler sie gewiss übers Ohr hauen. Er erhob sich und begann, ihren Spuren zu folgen, in der Hoffnung, bald auf sein Pferd zu stoßen.
Chris ging schnell, ohne viel auf seine Umgebung oder die Geräusche, die er machte, zu achten, als er in einiger Entfernung plötzlich ein Schnauben hörte. Das musste sein Pferd sein. Die Kleine hatte also Wort gehalten und es für ihn dagelassen. Erfreut lief er auf die kleine Lichtung, an deren Rand sein Tier angebunden war. Es schnaubte erneut und Chris trat näher, um dessen Kopf freundschaftlich zu tätscheln.
"Nein, wie rührend", sagte eine kalte schneidende Stimme hinter ihm.
Dem Schmuggler gefror das Blut in den Adern, als er sie hörte. Während er sich langsam umdrehte, hoffte
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