Feenkind
lebendig gegrillt, weil so eine alte Bibliothekarin ihr nicht helfen wollte. Das hatte der Alten aber auch nicht viel genützt. Sie kann sich die Radieschen jetzt von unten anschauen ..."
Dhalia hörte ihm nicht weiter zu. Sie war gar nicht mehr im Stande, etwas wahrzunehmen. Sie fühlte sich, als hätte ihr jemand alles Leben ausgesaugt. Sie hörte nur noch ihren Puls in den Ohren hämmern. Es war allein ihre Schuld. Fünf Menschen. Und Kalla. Tot. Wegen ihr. Kalla. Tot. Für immer. Ihre Schuld.
Erst nach einiger Zeit fiel ihr auf, dass Christopher sanft ihre Hand hielt und versuchte, ihren Blick auf sich zu lenken.
"Alles in Ordnung?" fragte er mitfühlend.
Dhalia schüttelte wild den Kopf. Am liebsten hätte sie geweint, doch sie konnte es nicht. Der Schock saß zu tief. Menschen waren gestorben, nur ihretwegen. Weil sie sich eine Aufgabe angemaßt hatte, die nicht die ihre war. Vielleicht wäre es am besten, wenn Eliza sie einfach erwischte, bevor sie noch mehr Unheil anrichten konnte, bevor sie Leid über noch mehr Menschen brachte.
Besorgt spürte Christopher, dass dieser einzigartige, helle und unbeugsame Funke die junge Frau vor ihm zu verlassen drohte. Und er wusste, dass er das nicht zulassen durfte. "Er spricht über Euch, nicht wahr?"
Dhalia nickte stumm.
"Ich wusste gar nicht, dass Ihr eine ganze Bande fertig gemacht habt", sagte Christopher. Er musste sie zum Sprechen bringen, sie von ihren düsteren Gedanken ablenken.
"Habe ich auch nicht." Sie lächelte schwach. "Ich bin weggelaufen." Plötzlich erschien etwas wie Hoffnung in ihrem Gesicht. "Wenn der Mann dabei gelogen hatte, dann sind vielleicht diese ganzen Menschen auch nicht tot, oder?"
Er hasste es, ihr diese Hoffnung zu nehmen. "Möglich", sagte er schließlich ausweichend. "Bei Sensationen übertreiben Menschen sehr gern."
Sie nickte dankbar.
"Kanntet Ihr jemanden ... in Annubia?" Er stoppte rechtzeitig, bevor er ‚jemanden von den Opfern' sagen konnte.
"Ja", sagte sie leise. "Die Bibliothekarin. Ich kenne sie schon, seit ich ein kleines Mädchen war. Ich habe sie um Hilfe gebeten." Ihre Stimme zitterte und sie biss sich auf die Lippe, um ihre Fassung nicht zu verlieren.
"Um Hilfe ... wobei?" Nur mit Mühe konnte Christopher die Neugier in seiner mitfühlenden Stimme verbergen.
Sie öffnete den Mund, um ihm zu antworten, überlegte es sich aber anders. "Es ist nicht mehr wichtig", murmelte sie schließlich. "Eliza, oder wie auch immer sie heißt, wird mich bald finden. Wenn sie nicht einmal vor Mord zurückschreckt ..."
"Nein!" entfuhr es Christopher heftig. "Das werden wir nicht zulassen. Wir müssen nur einen Weg finden, den Kompass auszuschalten, dann werden wir frei sein, überall hinzugehen."
Sie überhörte bewusst die Tatsache, dass der Mann von ‚wir' sprach, als hätte sie bereits eingewilligt, mit ihm zu gehen. Doch das hatte sie ganz und gar nicht vor. "Ihr sprecht wohl von diesem ominösen Feenort, den ich mit Euch oder für Euch ausrauben soll. In der winzigen Hoffnung, dort vielleicht etwas zu finden, was mir helfen kann. Ich bin jung, aber das heißt noch lange nicht, dass ich dumm bin."
Christopher lächelte. Zumindest ein Teil ihres Feuers war zu ihr zurückgekehrt. Er rang kurz mit sich selbst. Doch wenn er ehrlich war, war die Entscheidung bereits in dem Augenblick gefallen, als er sich entschlossen hatte, ihr zu folgen.
"Nein", sagte er schlicht. "Das mit dem Feenort war 'ne blöde Idee, vergessen wir das lieber."
Sie schien überrascht. "Dann ist das mit dem Kompass nicht wahr?" fragte sie hoffnungsvoll.
"Doch, das ist es, leider. Aber ich kann das wieder in Ordnung bringen." Er erhob sich.
"Wohin geht Ihr?"
"Raus. Und Ihr solltet mir folgen."
"Wieso?" fragte sie argwöhnisch.
"Mensch, Mädel. Ihr solltet doch langsam begriffen haben, dass ich Euch nichts tun will! Es müssen bloß nicht gerade alle sehen, was wir gleich tun werden. Ihr könnt ja Euer Schwert mitnehmen, wenn Ihr Euch dann wohler fühlt", fügte er hinzu, als er merkte, dass sie noch immer zögerte.
Sie schoss ihm einen ärgerlichen Blick zu und schnappte das Bündel mit ihren Sachen, bevor sie ihm zur Tür folgte.
Draußen wartete Christopher, bis sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, und packte sie fest am linken Oberarm. Empört riss sie sich los. Doch er legte ihr nur einen Finger an die Lippen, um sie am Reden zu hindern. Dann fasste er sie erneut entschlossen am Arm und zog sie mit sich fort in Richtung des Stalls, in dem auch ihre Pferde
Weitere Kostenlose Bücher