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Feenkind

Feenkind

Titel: Feenkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Zeißler
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Sie schüttelte den Kopf über ihre eigenen Gedanken. Wenn sie erst abwartete, bis es ihr etwas getan hatte, hätte sie wahrscheinlich keine Gelegenheit mehr, es ihm heim zu zahlen.
Ihr ganzes Leben lang hatte sie sich vorgestellt, was sie alles einmal tun würde, um ihr Volk zu befreien. Wie sie große Schlachten schlagen, Zweikämpfe ausfechten und schließlich den Herrscher besiegen würde.
Doch nun stand sie da und musste ein Leben beenden. Und zum ersten Mal sollte es nicht aus Hunger oder Notwehr geschehen. Zum ersten Mal war es kein Tier.
Sie würde es tun, es tun müssen. Doch sie wusste einfach nicht, wie.

Endlich sah sie eine Stelle, die für ihr Vorhaben geeignet war. Ein Baum wuchs mitten auf der Grenzlinie, so dass diese durch ihn hindurch ging. Jetzt hing alles davon ab, ob Dhalia die Barriere tatsächlich durchdringen konnte. Wenn nicht, würde ihr nichts weiter übrig bleiben, als weiterzugehen und Christopher seinem ungewissen Schicksal zu überlassen.
Dhalia ließ Brunos Zügel los und kletterte auf den Baum.
Zum wiederholten Male fiel ihr auf, dass die Ohren des Viszerers viel mehr als seine Augen ihren Bewegungen folgten. Doch auch seine Augen musterten sie neugierig, fast gespannt.
Er weiß auch nicht, ob ich die Barriere tatsächlich überwinden kann, fuhr es Dhalia erstaunt durch den Kopf. Er denkt, er wäre genauso sicher vor mir, wie ich vor ihm. Nun, das werden wir gleich wissen.
Sie setzte sich in eine Astgabelung und begann, kleine Rindenstückchen abzubrechen und gegen die Barriere zu werfen, um ihren genauen Verlauf zu bestimmen. Dann legte sie sich ihren Bogen quer über die Knie und holte einen Pfeil aus ihrem Köcher.
Wenn sie Recht hatte, konnten sie und alles, was sie berührte, die Mauer durchdringen. Sie spannte ihren Bogen und schob sich vorsichtig näher an die Grenzelinie heran. Sie erwartete, dass ihre Pfeilspitze jeden Augenblick gegen etwas Festes stoßen würde, doch diese glitt mühelos hindurch.
Dhalia zielte direkt auf den Viszerer, doch sie konnte den Pfeil einfach nicht abschießen. Selbst wenn sie ihn nur verletzte, würde sie ihn bei der langsam hereinbrechenden Dunkelheit zur leichten Beute der Nachtjäger machen, die bald auf Nahrungssuche gehen würden.
Mehrere Male spannte sie den Bogen und ließ die Sehne wieder locker. Die ganze Zeit über spürte sie den Blick der roten Viszerer-Augen auf sich ruhen, besorgt, lauernd. Und doch lief das Wesen nicht weg. Schließlich ließ Dhalia den Bogen unsicher sinken. Sie konnte es einfach nicht tun.
Als hätte der Viszerer nur darauf gewartet, machte er plötzlich einen gewaltigen Satz. Lange, rasierklingenscharfe Krallen gruben sich in die Baumrinde, als er mit einem einzigen Sprung neben ihr auf dem Baum landete und mit einem wütenden Knurren nach ihrem Bogen schlug. Bevor Dhalia auch nur bewusst reagieren konnte, hatte sie den Pfeil bereits abgeschossen. Mit einem lauten Krachen fiel ihr Gegner zu Boden und blieb dort reglos liegen.
Vor Schock zitterte Dhalia am ganzen Körper. Mechanisch griff sie unter ihren Oberschenkel, um etwas zu entfernen, das sie durch den Stoff ihrer Hose hindurch unangenehm piekste. Es waren die Rindenstückchen, mit denen sie die Grenze markiert hatte. Sie musste beim Zielen unabsichtlich die Linie überquert haben. Der Viszerer hätte sie töten können. Sie hatte ihn gewaltig unterschätzt.

Auf einmal wollte sie nur noch so viel Abstand wie möglich zwischen sich und das tote Wesen bringen. Sie kletterte vom Baum herunter und sprang in den Sattel. Sie ließ Bruno im schnellen Trab laufen, bis sie den Weg nicht länger erkennen konnte. Dann kletterte sie für die Nacht wieder in einen Baum. Es war albern, doch sie fühlte sich durch das dichte Laub merkwürdig beschützt.
Mit dem Rücken an den dicken Stamm gelehnt, saß sie müde in einer Astgabelung. Es war ein sehr anstrengender Tag gewesen. Doch trotz der Müdigkeit wollte der erholsame Schlaf nicht kommen. Sie wusste einfach nicht, wie sie Christopher helfen konnte. Und sie ertappte sich dabei, dass sie ihn tatsächlich vermisste. Er hätte selbst jetzt bestimmt einen lockeren Spruch auf den Lippen gehabt. Sie hätte sich zwar darüber geärgert, doch sie wäre zumindest nicht allein gewesen und er hätte sie von ihren trübsinnigen Gedanken abgelenkt.
Wenn sie nur wüsste, wie sie ihn befreien könnte. Sie gab sich keinerlei Täuschung darüber hin, dass ihre Chancen auf Erfolg äußerst schlecht standen. Sie hatte gesehen, wie

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