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Feenkind

Feenkind

Titel: Feenkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Zeißler
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mit ihm zu unterhalten.
Ratlos blickte sie Christopher hinterher. Was sollte sie bloß tun? Sie war in Sicherheit und eigentlich nicht schlechter gestellt als bei Beginn ihrer Reise. Sie hatte sich ganz allein auf den Weg gemacht. Christopher und sie waren zufällige Weggefährten. Wahrscheinlich wäre er ohnehin nicht bis zum Schluss bei ihr geblieben. Hätte
    er
seine Sicherheit, sein Leben aufs Spiel gesetzt in dem - höchstwahrscheinlich fruchtlosen - Versuch, sie zu retten? Vermutlich nicht.
Doch sie war nicht er. Sie musste ganz allein diese Entscheidung treffen. Was wog schwerer - ihre Verpflichtung gegenüber ihrem Volk oder ihre Verpflichtung gegenüber einem Weggefährten, der in Schwierigkeiten war? Einem Gefährten, denn genau das war Christopher in den letzten Tagen für sie geworden. Und obwohl sie ihm nicht traute, mochte sie ihn irgendwie.
Ich muss zumindest erfahren, wohin sie ihn bringen. Dann werde ich sehen, ob ich überhaupt eine Möglichkeit habe, ihm zu helfen, beschloss sie.
Doch so einfach war es nicht, ihm zu folgen. Sie wusste ja nicht, wo genau die unsichtbare Grenze verlief, die sie nicht zufällig überschreiten wollte. Außerdem war da immer noch der Viszerer, der auch nur den Gedanken daran, der sich immer weiter entfernenden Gruppe unerkannt zu folgen, zunichte machte.
Rasch sah Dhalia sich um, bis sie in einiger Entfernung einen hohen Baum entdeckte, der ihr geeignet schien. Sie lenkte Bruno an den dicken Stamm heran und stellte sich, vorsichtig balancierend, im Sattel aufrecht, um die hoch hängenden Äste zu erreichen.
Der Viszerer verfolgte völlig ungerührt ihr Tun.
Geschickt kletterte die junge Frau so hoch wie möglich in die dichte Baumkrone. Oben angekommen, sah sie sich leicht zerkratzt nach allen Seiten um. Etwas abseits konnte sie im Osten, zu ihrer Rechten, den breiten Silberstreifen des Flusses sehen. Sie waren so nahe dran gewesen! Nur eine halbe Stunde länger und sie wären jetzt beide in Sicherheit gewesen. Doch es half nichts.
Sie ließ ihren Blick weiter in die Richtung schweifen, in die die Viszerer Christopher verschleppt hatten. Und tatsächlich sah sie hie und da verschreckte Vögel in die Luft flattern, so dass sie nach und nach eine Wegstrecke aus diesen gelegentlichen Signalen rekonstruieren konnte. Sie waren zurück zur Landstraße unterwegs. Wahrscheinlich wollten sie den Gefangenen in dem kleinen Grenzkontrollposten unterbringen, um ... Ja, wozu eigentlich? fragte Dhalia sich plötzlich. Dann zuckte sie mit den Schultern. Es spielte keine Rolle. Dazu würde sie es gar nicht erst kommen lassen.
Nachdenklich beobachtete sie, wie wieder einmal eine Krähe laut kreischend in die Luft stieg. Der Vogel flog einen hohen Bogen, den er plötzlich mitten im Flug abzubrechen versuchte. Das so komisch aus, dass Dhalia unwillkürlich kicherte. Sie sah noch, wie die Krähe gegen etwas in der Luft prallte und benommen einige Meter nach unten fiel, bevor sie wieder zu sich kam und ihren Sturz abfangen konnte.
Freudig biss die junge Frau sich auf die Unterlippe, als sie erkannte, dass die Krähe gegen die Barriere geflogen war. Dhalia betrachtete aufmerksam die Stelle und nach kurzer Zeit konnte sie eine schwache Linie erkennen, die den Wald scheinbar teilte: Links und rechts davon wirkten die Baumkronen leicht gequetscht, als würden ihre Äste gegen etwas Festes gedrückt. Sie hatte also eine Chance, die Barriere auch auf dem Waldboden zu erkennen, wenn sie nur aufmerksam genug hinschaute. Mit dieser Erkenntnis kletterte sie wieder herunter.
Ihr Wächter hatte sich in der ganzen Zeit nicht vom Fleck gerührt.
    Halbintelligent
hatte Christopher sie bezeichnet. Anscheinend reichte der Verstand des Wesens aus, um zu erkennen, dass sie ihm nicht entwischen konnte. Seufzend nahm Dhalia ihr Pferd beim Zügel und begann, vorsichtig entlang der Grenze in Richtung der Landstraße zu gehen.
Ihr treuer Wächter folgte ihr auf Schritt.

Langsam begann im Kopf der jungen Frau eine Idee heranzureifen, wie sie zumindest ihren Begleiter loswerden könnte. Und sie begann nach einem geeigneten Platz Ausschau zu halten.
    Um sie aufzuhalten, muss man sie schon töten
, hallten ihr immer wieder Christophers Worte durch den Kopf. Konnte sie das tun?
Sie betrachtete das Geschöpf, das nur wenige Schritte von ihr entfernt neben ihr ging. Für den Viszerer war es bestimmt nichts Persönliches, für sie aber schon. Und doch empfand sie keinen Hass auf das Wesen. Noch hatte es ihr nichts getan.

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