Feentod
kommst du ja morgen noch mal vorbei? Habe mein Handy wieder. A.
Noraya überlegte kurz und tippte dann ihre Antwort:
Zum Glück ist dein Handy wieder da. Super, dass du nicht alleine im Zelt schläfst! Sei mir nicht böse, aber mir ist nicht nach Feiern zumute. Pass auf dich auf. N.
Der Wecker zeigte bereits halb zehn, als Noraya am Sonntagmorgen vom Läuten der nahen Kirchenglocken geweckt wurde. Ob Mama es manchmal schade findet, dass ihre Kinder nicht getauft sind, fragte sich Noraya und rieb sich die Augen. Ab und zu ging ihre Mutter nämlich sonntags in die Kirche. Und ganz ab und zu fragte sie ihre Töchter, ob sie nicht mitkommen wollten. Noraya hatte das schon lange nicht mehr gemacht. Dabei war es nicht so, dass sie sich, wie Papa, als Muslim fühlte. Das war ihr noch viel fremder. Im Grundschulalter hatte sie sich dann eine eigene Religion ausgedacht. Ihren Gott nannte sie damals Gollah â eine Mischung aus Gott und Allah. Ob Faris wohl auch diese Zwiegespaltenheit kannte, fragte sich Noraya, als sich die Ereignisse des Vortags wieder in ihrem Kopf ausbreiteten. Wie es wohl seinen Eltern jetzt geht?
»Puh«, stöhnte Noraya. Wie furchtbar das alles war. Sie musste unbedingt herauskriegen, was mit Faris geschehen war!
Auch ihre Mutter schien Farisâ Schicksal nicht loszulassen.
»Hast du etwas Neues von diesem Jungen gehört?«, begrüÃte sie Noraya beim Frühstück. Da Helia drauÃen mit einem Nachbarmädchen Inliner fuhr, konnten sie offen reden. »Ruf doch Alina an. Wenn die auf dem Festival ist, erfährt sie dort bestimmt, wenn sich der Zustand des Jungen verändert hat«, schlug sie vor, als sie den unglücklichen Gesichtsausdruck ihrer Tochter sah.
»Hm.« Für einen kurzen Moment überlegte Noraya, doch kurz noch einmal selbst aufs Festival zu gehen. Aber sie verwarf den Gedanken schnell wieder. Ihr Nacken schmerzte noch ziemlich stark und sie hatte auch gar keinen Bock auf fröhliche Menschenmassen. Also tippte sie schnell eine Nachricht an Alina. Deren Antwort kam prompt:
Nix Neues. Farisâ Zustand ist unverändert, wurde vorhin angesagt. Kopf hoch, SüÃe, er schafft das! A.
Noraya zog die Luft scharf ein und entschied, dies als gutes Zeichen zu nehmen. Immerhin hatte er die Nacht überlebt!
Den restlichen Vormittag lenkte sie sich mit Singen ab. Es gab einiges zu üben. Da waren zum einen die klassischen Stücke zu erarbeiten, die ihr ihre Gesangslehrerin immer aufgab und die viel schwieriger einzustudieren waren, als die Lieder von Engelhauch. Und zum anderen gab es einen neuen Song â Herzenswünsche, an dem die Band jetzt â nach dem groÃen Auftritt â arbeiten wollte. Der Song war für Noraya etwas ganz Besonderes. Es war der erste Titel, zu dem sie selbst den Text geschrieben hatte. Ihr erster Text überhaupt! Anfänglich hatte sie stark gezweifelt, ob sie ihr Geschreibsel den Jungs wirklich präsentieren sollte. Aber dann hatte sie sich, angestachelt von Alinas Ãberredungsversuchen â »du bist total bescheuert, wenn du den super Text in der Schublade vergammeln lässt« â doch getraut. Und prompt hatte Anton eine zündende Idee für eine Melodie dazu gehabt. Bereits auf dem nächsten Konzert wollten sie ihr Lied zum ersten Mal der Ãffentlichkeit präsentieren. Alleine der Gedanke an die Song-Premiere lieà Noraya wieder genauso nervös werden wie vor ihrem Festivalauftritt. Sich auf die Bühne zu stellen und einen Song zu interpretieren, den sie einfach nur gelernt hatte, war das eine. Aber sich dort hinzustellen und einen Text zu singen, der ihre innersten Gedanken und Gefühle zum Ausdruck brachte, das war noch viel heftiger.
Ob das wohl allen Sängern so ging, fragte sich Noraya. Ob Faris auch solche Gedanken kannte? Ob er auch solche Schwierigkeiten hatte, sich die eigenen Texte zu merken? Komischerweise konnte Noraya nämlich den eignen Text nicht so schnell auswendig lernen wie die von anderen. Missmutig schüttelte sie den Kopf. Schon wieder waren ihre Gedanken bei Faris und nicht da, wo sie sein sollten.
Mit geschlossenen Augen begann sie, leise zu singen. Dieses Mal klappte es auf Anhieb:
Als meine Wünsche sich erfüllten,
geschah dies unverhofft,
mit rücksichtsloser Wucht,
gut getarnt als Missgeschick.
Als plötzlich körperloses Hoffen,
wie Hagelkörner hart,
auf meiner Haut aufschlug,
da gab es kein
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