Feentod
Eigentlich Gustav«, verriet Noraya und spürte, wie ihr Herz alleine beim Gedanken an ihn einen Sprung machte. »Und genau den muss ich jetzt auch anrufen«, fügte sie hinzu und verschwand mit dem Telefon in ihrem Zimmer.
Während sie Staffs Nummer wählte, schlug ihr Herz noch schneller.
»Gustav Renner«, meldete er sich sofort nach dem ersten Klingeln. Mit Erschrecken registrierte Noraya den unpersönlichen Tonfall seiner Stimme.
»Noraya hier«, sagte sie leise.
»Oh, ich ⦠du rufst vom Festnetz an«, stellte er fest und fügte schnell hinzu. »Wie geht es dir?«
Noraya atmete auf. »So weit ganz gut. Die Schulter tut mehr weh als der Kopf.«
»Und dein Vater?«
»Hat gezetert. Aber dann hat sich Mama eingemischt. Jetzt hängt der Ehesegen schief.«
»Schlimm?«
»Na ja. Keine Ahnung.«
Staff sagte nichts und auch Noraya wusste nicht, wie sie anfangen sollte. Das Schweigen dehnte sich aus, bis beide gleichzeitig einen Anlauf nahmen. Staff lieà Noraya den Vortritt.
»Ich möchte mich entschuldigen. Es war so dumm von mir, dich zu verdächtigen. Das ist völlig absurd, aber ich konnte wirklich nicht mehr klar denken, als diese E-Mail kam.«
»Das kann ich mir vorstellen«, kam Staff ihr entgegen. »Vielleicht ist es einfach nur ein Zufall, das mit dem Song.«
»Du meinst, dass der Schatten auch um die wahre Aussage des Liedes kennt?«
»Warum nicht. Das kannst du ganz leicht im Internet googeln.«
»Hm. Oder er hat uns belauscht damals. Vielleicht ist er mir gefolgt an diesem Tag. Wäre ja nicht zum ersten Mal der Fall.«
»Egal«, meinte Staff. »Ich denke, es ist an der Zeit, dass wir ihn endlich entlarven. So kann es nicht weitergehen.«
»Das stimmt. Ich kann wirklich nicht mehr. Morgen werde ich meiner Mutter alles erzählen.«
»Das ist gut«, seufzte Staff erleichtert und dann erzählte Noraya ihm von Alinas Nachricht. »Und warum will sie dich ausgerechnet an der Zitadelle treffen?«
»Keine Ahnung. Aber es passt schon zu Alina. Sie ist so eine kleine Dramatikern. Ich hoffe so sehr, dass wir uns wirklich aussprechen können. Sag mal, Staff â¦Â« Noraya war noch etwas eingefallen. »Kann es sein, dass du Alina kennst?«
»Nicht, dass ich wüsste.« Staff überlegte kurz. »Wie kommst du darauf?«
»Ach, nicht wichtig. Hätte ja sein können«, bog Noraya wieder von ihrer Frage ab. Sie war so glücklich, dass zwischen ihr und Staff alles wieder in Ordnung kommen würde. Das wollte sie nicht mit irgendwelchen Behauptungen von Hagen verderben. AuÃerdem war sich Hagen ja selbst unsicher gewesen, ob er wirklich Staff mit Alina gesehen hatte.
»Dann wünsche ich dir viel Glück für dein Treffen heute!«, sagte Staff zum Abschied.
Und Noraya flüsterte: »Das habe ich heute schon gehabt. Ich bin so froh, dass du mich nicht zum Teufel jagst.«
»Da wärst du ja völlig fehl am Platz, mein Engel. Und wie heiÃt es so schön? Irren ist weiblich!« Staffs warmes Lachen deckte sich über Noraya wie ein leichtes Seidentuch.
26.
W ie am gestrigen Abend hatte sich auch heute der Himmel zugezogen, als Noraya den steilen Weg zur Zitadelle hinauflief. Der Wind blies stark und trieb die schweren Wolken vor sich her wie groÃe Schlachtschiffe. Am Seiteneingang blieb sie kurz stehen und lieà ihren Blick über das Gelände schweifen. Am Weg blühten jetzt die Holunderbüsche in weiÃer Pracht und Noraya rechnete nach, wie lange es her war, dass Faris hier verunglückt war. Fast vier Wochen waren seitdem vergangen. Die Erinnerung an den schrecklichen Vorfall jagte ihr einen leichten Schauer über den Rücken.
Gleich rechts, wenn sie durch das Tor ging, zweigte der Rundweg ab, der an der alten Zitadellenmauer entlangführte. Nur ein paar Meter weiter musste es passiert sein. Weil sie etwas zu früh dran war, nahm sie sich ein Herz und steuerte auf die Stelle zu. Irgendwie hatte sie das Gefühl, es Faris schuldig zu sein.
Der Weg war ziemlich schmal â eher ein Pfad. Teilweise hatten die Ranken, die an der Mauer emporkletterten, sich mit den gegenüberliegenden Gewächsen verbunden, sodass sich ein dichtes Blätterdach über dem Pfad ausbreitete. Eigentlich sehr romantisch hier, dachte Noraya und sog den feinen Duft der Holunderblüten ein. Sie musste nicht weit gehen, da
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