Feenzorn
fand, der mehr als zehn Meter ins Wasser ragte. Am äußersten Ende blieb ich einen Augenblick stehen und lauschte dem Donner, der über den See rollte, und dem Wind, der das Wasser zu recht hohen Wellen auftürmte. Die Luft war ruhelos, voller Gewalt. Der leichte Regen, der unablässig fiel, war unangenehm kalt.
Ich schloss die Augen, zog die Energie aus den Elementen ringsum an, wo das Wasser auf den Stein traf, wo die Luft dem Wasser und der Stein der Luft begegnete, und fügte meine eigene Kraft und Entschlossenheit hinzu. Die Energie lief durch mich hindurch, tanzte und brodelte wie ein lebendiges Wesen. Mit meinen Gedanken bündelte und formte ich sie, dann öffnete ich die Augen, hob die Arme und drehte die Handgelenke nach oben, damit der Regen auf die alten, hellen Narben neben den großen blauen Venen fallen konnte. Schließlich entließ ich die Kraft, die ich gesammelt hatte, und rief in den Donner und den Regen hinaus: »Patentante! Vente, Leanansidhe!«
Schlagartig erschien sie neben mir. »Ehrlich, mein Kind, es ist ja nicht so, als wäre ich weit weg. Es gibt keinen Grund, derart zu brüllen.«
Überrascht zuckte ich zusammen und wäre beinahe in den See gestürzt. Links neben mir stand meine Patentante aus dem Feenreich gelassen auf dem Wasser und hob und senkte sich sachte, während die Wellen unter ihren Füßen vorbeiliefen.
Lea war fast so groß wie ich, doch wo ich dunkle Kontraste und harte Kanten hatte, bestand sie aus fließenden Kurven und sanften Schattierungen. Ihr Haar, rot wie eine Feuersbrunst, fiel in Locken bis auf die Hüften herab. Dazu trug sie an diesem Abend ein Kleid aus fließender smaragdgrüner Seide, die mit ockerfarbenen und aquamarinblauen Fasern durchsetzt war. Ihr Gürtel bestand aus geflochtenen, golden gefärbten Seidenfäden, in einer Schlaufe hing ein Messer mit dunklem Griff schräg an ihrer Hüfte.
Sie gehörte zu den hohen Sidhe, und ihre Schönheit war unvergleichlich. Vollendet wurde das makellose Äußere durch eine Ausstrahlung weiblicher Lieblichkeit, einen vollen Mund, eine Haut wie Milch und schmale Katzenaugen, die golden schimmerten wie bei den meisten Feenwesen. Nicht ohne Belustigung nahm sie meinen Schreck zur Kenntnis und lächelte leicht.
»Guten Abend, liebe Patentante«, sagte ich, um einigermaßen höflich zu bleiben. »Du bist so schön wie die Sterne.«
Sie seufzte erfreut. »Du bist mir vielleicht ein Schmeichler.
Ich genieße diese Unterhaltung jetzt schon erheblich mehr als die letzte.«
»Dieses Mal bin ich auch nicht drauf und dran zu sterben.«
Das Lächeln verschwand. »Das ist eine Frage des Standpunkts. Du schwebst in großer Gefahr, mein Junge«, erwiderte sie.
»Wenn ich recht darüber nachdenke, wird mir klar, dass dies eigentlich immer der Fall war, sobald du irgendwo aufgetaucht bist.«
Sie kicherte vorwurfsvoll. »Unsinn. Ich wollte doch stets dein Bestes.«
Darauf lachte ich humorlos. »Mein Bestes. Das ist köstlich.«
Lea zog eine Augenbraue hoch. »Wie kommst du nur auf die Idee, ich könnte irgendetwas anderes beabsichtigen?«
»Zunächst einmal, weil du mir ein großes, böses magisches Schwert abgenommen und mich an Mab verkauft hast.«
»Ach was«, sagte Lea. »Die Sache mit dem Schwert war rein geschäftlich. Und was das Abtreten deiner Schuld an Mab angeht… ich hatte einfach keine Wahl.«
»Ja, ganz sicher.«
Sie legte die Stirn in Falten. »Du solltest es besser wissen, mein liebes Patenkind. Dir ist bekannt, dass ich nicht die Unwahrheit sagen kann. Während unserer letzten Begegnung kehrte ich mit großer Macht ins Feenland zurück und erzeugte ein schweres Ungleichgewicht. Dies musste behoben werden, und die Abtretung deiner Schuld war das Mittel, das die Königin einzusetzen beliebte.«
Jetzt runzelte auch ich die Stirn. »Du bist mit großer Macht zurückgekehrt?« Mein Blick fiel auf das Messer, das sie an der Hüfte trug. »Dieses Ding, das die Vampire dir geschenkt haben?«
Sie legte die Finger leicht auf den Griff. »Setze es nicht herab.
Dieses Athame haben sie nicht selbst erschaffen, und es war eher ein Handel als ein Geschenk.«
»Willst du damit sagen, dass das Schwert Amoracchius und dieses Ding in derselben Liga spielen? Meinst du das?« Ich schluckte schwer. Meine Feentante war auch ohne ein so starkes Artefakt schon äußerst gefährlich. »Was ist es?«
»Nicht was, sondern wessen, das ist die Frage«, berichtigte Lea mich. »Jedenfalls kann ich dir versichern, dass ich dir
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