Feenzorn
waren mit dickem Reif überzogen, und seine Robe erweckte den Eindruck, sie sei in Wasser getaucht und mit einem Hundeschlitten von Anchorage bis Nome geschleppt worden. Seine Lippen waren blau, die Augenlider flatterten, die Augäpfel rollten beinahe unabhängig voneinander. Die Hüter schleppten ihn bis vor die Bühne, wo sich der Ältestenrat an der Kante versammelte und hinabblickte.
»Das ist mein Kurier, den ich zur Winterkönigin geschickt habe«, erklärte die Ehrwürdige Mai.
»Er bestand darauf«, sagte einer der Hüter. »Wir wollten ihn verarzten lassen, aber er hat sich so aufgeregt, dass ich fürchtete, er könnte sich etwas antun, also haben wir ihn lieber hergebracht, Ehrwürdige.«
»Wo habt ihr ihn gefunden?«, fragte der Merlin.
»Draußen. Jemand fuhr mit einem Auto vor und stieß ihn heraus. Wir haben nicht gesehen, wer es war.«
»Haben Sie das Kennzeichen notiert?«, fragte ich. Die Hüter beäugten mich, dann wandten sie sich wieder an den Merlin. Keiner von ihnen hatte es begriffen. Vielleicht waren Nummernschilder eine viel zu moderne Erfindung; immerhin gab es sie erst seit gerade mal einem Jahrhundert. »Bei den Toren der Hölle«, murmelte ich, »da hätte ich aber besser aufgepasst.«
Die Ehrwürdige Mai stieg vorsichtig von der Bühne herunter und näherte sich dem jungen Mann, berührte ihn an der Stirn und redete, vermutlich auf Chinesisch, leise auf ihn ein. Der Junge öffnete die Augen und antwortete stockend und zögernd.
Schließlich runzelte die Ehrwürdige Mai die Stirn und fragte noch einmal nach. Der Bote bemühte sich zu antworten, aber es war offenbar zu viel für ihn. Er sackte in sich zusammen, verdrehte die Augen und erschlaffte.
Die Ehrwürdige strich ihm übers Haar. »Nehmt ihn mit und kümmert euch um ihn.«
Die Hüter legten den Jungen auf einen Umhang und trugen ihn rasch zu viert hinaus.
»Was hat er gesagt?« Ebenezar kam mir mit seiner Frage zuvor.
»Er sagte, Königin Mab habe ihm aufgetragen, dem Rat auszurichten, dass sie die Reisen durch ihr Reich gestattet, falls eine Bedingung erfüllt wird.«
Der Merlin zog die Augenbrauen hoch und zupfte sich nachdenklich am Bart. »Was verlangt sie?«
Die Ehrwürdige Mai murmelte: »Das hat sie ihm nicht gesagt. Sie meinte nur, sie habe ihre Wünsche bereits einem Mitglied des Rates mitgeteilt.«
Daraufhin zog sich der Ältestenrat zurück und debattierte mit gedämpften Stimmen.
Ich achtete nicht mehr auf sie. Was die Ehrwürdige uns mitgeteilt hatte, war für sich genommen schon so schockierend, dass ich kaum noch atmen, geschweige denn etwas sagen konnte. Als ich wieder in der Lage war, mich zu rühren, kehrte ich zu meinem Tisch zurück, beugte mich vor und presste sanft den Kopf auf das Holz. Mehrmals.
»Verdammt«, murmelte ich im Takt zu den Schlägen. »Verdammt, verdammt, verdammt.«
Auf einmal spürte ich eine Hand auf der Schulter. Der Türhüter mit seiner tiefen Kapuze hatte sich von den anderen Ältesten entfernt und stand neben mir. Seine Hand steckte in einem schwarzen Lederhandschuh. Ich konnte nirgendwo ein Stückchen Haut von ihm entdecken.
»Sie wissen, was der Krötenregen zu bedeuten hat«, sagte er sehr leise. Er sprach Englisch mit einem leichten Akzent – teilweise britisch und teilweise etwas anderes. Indisch vielleicht? Naher Osten?
Ich nickte. »Es gibt Ärger.«
»Ärger.« Sein Gesicht konnte ich zwar nicht erkennen, aber ich vermutete, dass ein leises Lächeln um seine Lippen spielte. Dann drehte sich die Kapuze zu den anderen Mitgliedern des Ältestenrates um, und er flüsterte. »Wir haben nicht viel Zeit. Wollen Sie mir eine Frage aufrichtig beantworten, Magier Dresden?«
Ich drehte mich zu Blaubart um, weil ich nicht sicher war, ob er lauschte. Er hatte sich zu einer Frau mit rundem Gesicht, die wie eine Großmutter wirkte, am anderen Tisch hinübergebeugt und schien ihr aufmerksam zuzuhören. Ich nickte.
Der Türhüter machte eine schnelle Geste. Keine Worte, keine Pause für die Vorbereitung, nichts. Er winkte nur, und schon verloren die Worte der anderen Sprecher im Raum ihre Verständlichkeit. »Wie ich sehe, wissen auch Sie, wie man lauscht. Mir wäre es lieber, wenn uns niemand zuhört.« Seine Stimme klang ein wenig verzerrt, einige Worte waren hoch, andere tief, und manche hallten nach.
Ich nickte vorsichtig. »Wie lautet die Frage?«
Er griff zur Kapuze, schwarzes Leder vor Purpur im Zwielicht, und zog die Haube gerade weit genug zurück, damit ich das
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