Feenzorn
Tür.
Der Raum hätte zu einem Hotel der Wilden Zwanziger gepasst. Vielleicht traf das sogar zu, falls ein Hotel im Erdboden versunken, leicht zur Seite gekippt und von Wesen dekoriert worden war, die keine Ahnung von menschlichem Stilempfinden hatten. Was auch immer, es war offensichtlich ein Ort, an dem man tanzen konnte. Die Tanzfläche bestand aus rosa Marmorplatten, und um den schiefen Boden auszugleichen, waren die Platten an einer Seite leicht unterfüttert worden, so dass eine Art lange, flache Treppe entstanden war. Auf diesem unsicheren Untergrund tanzten die Winter-Sidhe.
Sie als schön zu bezeichnen wäre der Sache nicht einmal annähernd gerecht geworden. Männer und Frauen wirbelten umeinander, gekleidet nach der Mode der vierziger Jahre – Nylonstrümpfe, knielange Röcke, Uniformkleider der Army und der Navy, die absolut echt wirkten. Auch die Frisuren entsprachen der Epoche, obschon die Farben nicht immer zur Garderobe passten. Ein Sidhe-Mädchen hatte die Haare saphirblau gefärbt, andere trugen silberne, goldene oder andersfarbige Zöpfe. Hier und dort schimmerte das Licht auf Edelsteinen, die in Ohren, Stirnen oder Lippen eingelassen waren. Ein feines Farbenspiel umhüllte die Sidhe und schenkte ihnen eine vornehme, faszinierende Aura, eine Korona der Energie, in der die Macht dieser Wesen zum Ausdruck kam.
Auch ohne die wirbelnden Auren hatte die Art und Weise, wie sie sich bewegten, etwas Hypnotisches. Schon nach wenigen Sekunden musste ich mich schwer zusammenreißen, um mich vom Anblick einer Frau zu lösen, die in den starken Armen eines Mannes ihre schönen Beine schwang, den Rücken durchbog, den Kopf nach hinten streckte und ihm ihre Brüste darbot, während auf ihren Haaren die bunten Lichter schimmerten. Wann immer ich in Richtung der Tanzfläche blickte, entdeckte ich jemanden, der sich über die Titelbilder sämtlicher Zeitschriften hätte lustig machen können, weil die dort Abgebildeten so hässlich waren.
Billy war lange nicht so paranoid wie ich, er stand nur da und starrte mit weitaufgerissenen Augen auf die Tanzfläche. Ich knuffte ihn mit der Hüfte fest genug, dass seine Zähne zusammenschlugen, und er fuhr auf und schnitt eine schuldbewusste Grimasse.
Widerwillig löste ich mich von den Tänzern, es waren insgesamt vielleicht zwanzig Paare, und betrachtete den Rest des Ballsaales.
An einer Seite befand sich eine Bühne, auf der die Musiker des gemischten Orchesters in Smokings spielten. Sie waren Sterbliche, anscheinend normale Menschen. Jedenfalls wirkten sie normal, was bedeutet, dass sie mir im Gegensatz zu den Tänzern, für die sie spielten, beinahe hässlich vorkamen. Offenbar waren die Musiker weder ausgeruht noch gut ernährt. Auf ihren Smokings glänzten Schweißflecken, ihre Haare waren strähnig und schmutzig, und ein näherer Blick zeigte mir, dass alle eine silberne Fessel am Fußgelenk trugen. Daran hing eine silberne Kette, die sie alle miteinander verband. Allerdings kamen sie mir nicht sonderlich beunruhigt vor – ganz im Gegenteil. Alle konzentrierten sich völlig auf die Musik und versanken förmlich darin. Sie waren gut, sie spielten und wirkten auf eine Weise zusammen, wie es nur bei einem Orchester mit sehr erfahrenen Musikern der Fall ist.
Das alles änderte freilich nichts an der Tatsache, dass sie Gefangene der Feenwesen waren. Offenbar hatten sie jedoch keine besonderen Probleme damit. Die Musik ließ den großen Raum erbeben, Staub rieselte von den Deckensteinen herab, die über uns in der Dunkelheit verborgen waren, während die Sidhe tanzten.
Dem Orchester gegenüber senkte sich die Tanzfläche zu einem Teich – jedenfalls hielt ich es für Wasser. Andererseits war es schwarz und unnatürlich still. Während ich es beobachtete, kräuselte sich die Oberfläche, weil sich darunter irgendetwas bewegte. Farben liefen in Wellen über den dunklen Spiegel, und mir wurde klar, dass es sich tatsächlich nicht um Wasser handelte. Oder um mehr als nur Wasser. Wieder unterdrückte ich ein Schaudern.
Hinter der Tanzfläche, am anderen Ende des Raumes, waren Plattformen in mehreren Stufen übereinander errichtet. Auf jeder Ebene stand ein kleiner Tisch, an dem höchstens drei oder vier Personen Platz fanden, jeweils beleuchtet mit einer Lampe mit einem grünen Schirm. Am höchsten Punkt stand ein einzelner Herrschersitz, anscheinend aus Silber, dessen funkelnde Rückenlehne einem natürlichen Vorbild nachempfunden war – eine stilisierte
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