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Fehlfunktion

Fehlfunktion

Titel: Fehlfunktion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter F. Hamilton
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marschierte. Jay rannte geduckt hinter ihm her. Horst spürte Mitleid mit ihnen, weil sie nur noch leere Schalen waren. Sämtliche menschliche Würde war aus ihren Leibern verschwunden. Er sah es ihnen an, wenngleich er nicht wußte, woher er dieses Wissen nahm. Sechs oder sieben Siedler bildeten eine lockere Gruppe zwischen ihm und Shona. Horst erkannte ihre Gesichter, aber nicht die Seelen dahinter.
    Eine der Frauen, Brigitte Hearn, die nie regelmäßig den Gottesdienst besucht hatte, lachte ihn aus und hob den Arm. Ein Ball weißen Feuers entsprang ihren offenen Fingern und raste auf Horst zu. Jay schrie auf, doch Horst blieb mit entschlossenem Gesicht unbeirrbar stehen. Der Feuerball zeigte ein paar Meter vor ihm erste Auflösungserscheinungen, wurde dunkler und dehnte sich aus. Er zerplatzte mit einem nassen Knistern, als er Horst erreichte, und winzige Fäden aus Statik gruben sich durch sein schmutziges Sweatshirt. Sie brannten auf seinem Leib wie Hornissenstiche, doch er weigerte sich, dem Halbkreis aus Zuschauern auch nur eine Spur von Schmerz zu zeigen.
    »Wißt ihr, was das hier ist?« brüllte er mit Donnerstimme. Er hob das angelaufene schmutzige Kruzifix aus Silber, das er an einer langen Kette um den Hals trug, und richtete es auf Brigitte Hearn, als wäre es eine Waffe. »Ich bin der Diener des Herrn, wie ihr die Diener Satans seid! Und ich muß Seine Arbeit tun. Jetzt tretet beiseite.«
    Nackte Furcht durchzuckte Brigitte Hearns Gesicht, als das silberne Kruzifix vor ihr geschwenkt wurde. »Nein, das bin ich nicht«, sagte sie mit brechender Stimme. »Ich bin kein Diener des Teufels. Keiner von uns ist das.«
    »Dann tritt zur Seite, Weib. Dieses Kind ist schwer verletzt.« Brigitte Hearn warf einen Blick hinter sich, dann trat sie ein paar Schritte zur Seite. Die restlichen Leute in der Gruppe wichen hastig vor dem Priester zurück, und ihre Gesichter zeigten angespannte Furcht. Einer oder zwei zogen sich ganz zurück. Horst bedeutete Jay mit einem Wink, ihm zu folgen, und ging zu dem gestürzten Kind. Er schnitt eine Grimasse, als er das versengte, geschwärzte Gesicht der Kleinen erblickte. Ihr Puls raste, aber er war ganz flach. Wahrscheinlich hatte sie einen Schock erlitten. Er nahm sie in die Arme, erhob sich und machte Anstalten, sie in seine Kirche zu tragen.
    »Ich mußte doch zurückkommen«, sagte Brigitte Hearn, als Horst an ihr vorbeiging. Sie hatte die Schultern eingezogen, und in ihren Augen schimmerten die Tränen. »Sie wissen nicht, wie das ist. Ich mußte einfach.«
    »Wie was ist?« fragte Horst ungehalten. »Wovon reden Sie da?«
    »Vom Tod.«
    Horst erschauerte und wäre fast stehengeblieben. Jay drehte sich furchterfüllt nach der Frau um.
    »Vierhundert Jahre!« rief Brigitte Hearn mit brechender Stimme. »Ich starb vor vierhundert Jahren! Vierhundert Jahre lang im Nichts.«
    Horst stürzte in die kleine Krankenstation auf der Rückseite seiner Kirche und legte Shona auf den hölzernen Tisch, der gleichzeitig als Behandlungsliege diente. Er riß den medizinischen Prozessorblock vom Regal und drückte das Sensorkissen in Shonas Nacken. Er aktivierte den Apparat, und das metabolische Display erschien. Er beschrieb dem Prozessor die Verletzungen. Horst las die Diagnose und verabreichte dem Mädchen ein Sedativum, dann sprühte er eine Kombination aus Analgetikum und Reinigungsmittel über die Verbrennungen.
    »Jay«, sagte er leise, »ich möchte, daß du in mein Zimmer gehst und mir meinen Rucksack bringst. Pack alles an Fertignahrung ein, was du finden kannst, dann das Zelt, in dem ich gleich nach unserer Ankunft geschlafen habe, und alles andere, was draußen im Dschungel nützlich sein könnte: die kleine Fissionsklinge, meinen tragbaren Heizer und dergleichen Kram. Laß ein wenig Platz für meine medizinische Ausrüstung. Oh, und ich brauche auch noch mein zweites Paar Stiefel.«
    »Gehen wir von hier weg?«
    »Ja.«
    »Nach Durringham?«
    »Ich weiß es nicht. Jedenfalls nicht auf direktem Weg.«
    »Kann ich Drusila holen gehen?«
    »Ich glaube kaum, daß das eine gute Idee wäre. Drusila geht es bestimmt besser, wenn sie hierbleibt, anstatt mit uns durch den Dschungel zu wandern.«
    »In Ordnung. Ich verstehe.«
    Er hörte, wie sie in seinem Zimmer kramte, während er Shona verarztete. Die Nase des jungen Mädchens war bis fast auf den Knochen verbrannt, und das metabolische Display verkündete außerdem, daß nur eine Retina funktionierte. Nicht zum ersten Mal sehnte er

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