Fehlschuss
diese wiederum ihre Kunden beglückten, konnte
oder wollte Geseke nicht sagen.
Er selbst verteilte seine Lippenstifte in ganz Deutschland. Aber
Susanne und Hellwein hielten sich nicht mit der Frage auf, wen er da alles
belieferte. Darum konnten sich später die Kollegen von der Drogenfahndung
kümmern.
Auch die Frage, was es mit den fünf Euro auf sich hatte, klärte sich
schnell. Um Kokain in diesen Mengen zu schmuggeln, bedurfte es jeder Menge
Lippenstifte. Mit ein paar Kartons, die man unter anderer Ware verstecken
konnte, war es nicht getan. Also mussten die Frachtpapiere die richtige
Kartonzahl aufweisen, damit die Zollbeamten nicht aufmerksam wurden. Das
wiederum hatte aber zur Folge, dass auch die Verkaufszahlen und Umsätze
irgendwie mit der importierten Menge in Einklang gebracht werden mussten. Also
stellte Geseke Rechnungen aus mit dem Preis, den seine Lippenstifte mit
normalem Inhalt kosteten, kassierte offiziell, versteuerte das ganz normal. Den
eigentlichen Gegenwert der Ware bekam er auf anderen Wegen in bar.
Folglich musste es sogar bei der sonst so korrekten Tönnessen
Schwarzgeld gegeben haben, denn bisher hatten sie weder größere Einnahmen noch
Ausgaben gefunden, die sie nicht hätten zuordnen können.
Ein leichter, aber gezielter Tritt von Susanne gegen sein Schienbein,
und Hellwein lief endgültig zur Hochform auf. „Und dann bekam Inge Lautmann
Wind davon und wollte ein Stück von dem Kuchen abhaben, nicht?“, brachte er es
auf den Punkt.
„Und da haben Sie und Tönnessen beschlossen, ihr einen Denkzettel zu
verpassen“, ergänzte Susanne und überließ den nächsten Satz wieder Hellwein.
Ein abgekartetes Spiel, das auf einen Verdächtigen wirkte, als träfe ihn ein
Hammerschlag nach dem anderen.
„Aber als Lautmann aus Versehen abgekratzt ist, hat Tönnessen kalte
Füße bekommen.“
„Sie hat Ihnen gedroht, zur Polizei zu gehen.“
„Damit hatten Sie nicht gerechnet, was?“
„Dass Tönnessen etwas an Lautmann gelegen hat.“
„Und dann mussten Sie Tönnessen aus dem Weg räumen.“
Geseke war in den letzten Sekunden kreideweiß geworden. Sein Blick
flog zwischen den beiden hin und her. „Sie sind ja verrückt“, flüsterte er.
„Sie sind komplett übergeschnappt.“
Susanne und Hellwein mühten sich über eine Stunde lang, ihn zu einem
Satz, einem Wort nur zu bringen, das ihn in Zusammenhang mit den beiden
Todesfällen brachte. Hellwein bewegte sich sogar hart am Rande der Legalität,
als er versuchte, Geseke ein Geständnis in den Mund zu legen. Später, beim
ersten förmlichen Verhör in Anwesenheit des Staatsanwalts würde er sich das
nicht mehr erlauben können. Aber Hellwein handelte immer nach dem Motto: „Der
Zweck heiligt die Mittel“. Und es funktionierte so oft. Wenn man als Polizist
vorgab, alles schon zu wissen, gab es für so manchen Beschuldigten keinen Grund
mehr zur Lüge.
Geseke machte ihm allerdings einen Strich durch die Rechnung. Er
stritt alles ab, wurde erst hysterisch, dann wütend, verlangte schließlich
einen Anwalt und verfiel in dumpfes Schweigen.
Den Haftbefehl zu erwirken, war kein Problem, und Geseke wurde
offiziell verhaftet wegen illegalen Drogenhandels und des Verdachts der
Anstiftung zum Mord sowie zur Anstiftung zur Körperverletzung mit Todesfolge.
Ausgestattet mit dem entsprechenden Durchsuchungsbeschluss fuhren
Hellwein und Susanne in die Mathias-Brüggen-Straße, schickten die Mitarbeiter
nach Hause und versahen die Räumlichkeiten mit einem polizeilichen Siegel.
Gleich am nächsten Morgen würden sie mit einem ganzen Team den Gebäudekomplex
auf den Kopf stellen. Und Susanne war davon überzeugt, nicht nur Drogen zu
finden, sondern auch den Raum, in dem Lautmann festgehalten und gefoltert
worden war.
Nachdem sie auch Gesekes Wohnung im Rechtsrheinischen versiegelt
hatten, fand das erste Verhör in Anwesenheit des Staatsanwalts und des
Rechtsbeistands von Geseke statt. Aber das machte die Sache nicht einfacher.
Obwohl der Anwalt ihm geraten hatte, die Aussage zu verweigern,
gestand Geseke noch einmal seine Drogengeschäfte ohne Wenn und Aber. Gegen die
anderen Anschuldigungen wehrte er sich jedoch entschieden.
Nach fast drei Stunden drehten sie sich mehr und mehr im Kreis.
Drogenhandel ja — Gewaltverbrechen nein. Schließlich brach Susanne, erschöpft
und entnervt, das Verhör ab.
Als der wachhabende Beamte Geseke abgeführt hatte, fuhr sie sich mit
einer müden Handbewegung durch das stumpfe dunkelbraune Haar. „Was
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