Fehlschuss
sammelte darin alles,
was sie brauchte: die Gewürze aus dem Bord über dem Esstisch, zwei
Schneidbretter am einen Ende der Küchenzeile, Messer aus der Schublade am
anderen Ende, einige Rührlöffel und Pfannenheber irgendwo dazwischen.
Beinahe den ganzen Nachmittag verbrachte sie dann am Telefon. Es galt
Fototermine zu verlegen, Achim und Klaus das Nötige zu erklären, verschiedenen
Freunden und den Eltern ihres Patenkindes Frauke mitzuteilen, wo sie die
nächsten Tage zu erreichen war. Sie sprach mit der Nissan-Werkstatt, orderte
einen neuen Fahrersitz und organisierte, dass der Wagen abgeholt wurde, sobald
die Spurensicherung ihn freigab. Und beinahe stündlich musste sie Susanne, die
in regelmäßigen Abständen anrief, mit einem „Chris schläft“ vertrösten.
Am Abend genehmigte sie sich einen mehr als doppelten Whisky und sah
sich zum ersten Mal bewusst in der Wohnung um. Die Kirschholzmöbel, die alte
Couch mit der geschwungenen Rückenlehne — es gefiel ihr. Auch die Aktzeichnung
an der Stirnwand. Eine Frau mit langem schwarzem Haar, deren Nacktheit mit nur
wenigen Strichen angedeutet war. Sie wunderte sich allerdings über den hellen
Fleck daneben. Größe und Form entsprachen genau dem Rahmen der Zeichnung. Was
mochte wohl mit dem anderen Bild passiert sein?
Als nächstes sah sie sich die Bücher und CDs von Chris an. Die Regale
waren mindestens ebenso voll wie ihre eigenen, aber sie musste an sich halten,
um nicht sofort eine gewisse Ordnung herzustellen. Da standen die Krimis
inmitten historischer Abenteuer — oder eher andersherum? Zwischen Allende und
Tania Blixen versteckten sich drei Surminskis, und auf einer Böll-Gesamtausgabe
lagen zwei Gandhi-Biografien. Bei den CDs sah es auch nicht besser aus. Karin
nahm sich kopfschüttelnd einen Surminski und legte sich damit auf die Couch.
Die war tatsächlich so bequem wie sie aussah.
Später am Abend entdeckte sie dann die Blumenerde und die Töpfe auf
dem Balkon, die Chris zwar gekauft, dann aber da draußen deponiert und
schließlich vergessen hatte.
Am nächsten Tag widmete sie sich eingehend den Pflanzen. Topfte um,
beschnitt, teilte Wurzeln, setzte Ableger ein.
Nachmittags, als Karin gerade zufrieden ihr Werk betrachtete und sich
die Blumenerde unter dem Fingernägeln wegpolkte, kam Anne, um nach ihrem
Patienten zu sehen, fand diesen aber wiederum nur schlafend vor und hütete
sich, ihn zu wecken. Sie würdigte Karin kaum eines Blickes. Es schien ihr sogar
schwer zu fallen, ein „Guten Tag“ über die Lippen zu bringen.
Von all dem bekam Chris nur dunkel mit, dass Karin ihm ab und zu
Hühnerbrühe einflößte, und dass nachts etwas Warmes neben ihm lag.
Als er am Samstagmorgen erwachte, fühlte er sich frisch und ausgeruht.
Neben ihm war das Bett leer. Er setzte sich auf und zog schnuppernd die Luft
ein. Kaffee! Ihm lief das Wasser im Mund zusammen. Kaffee, Eier mit Speck und
eine Zigarette — das brauchte er jetzt.
In einen abgetragenen himmelblauen Frotteebademantel gehüllt, stand
Karin plötzlich in der Tür, schwer auf die roten Krücken gestützt. Sie schien
überrascht. „He, du hast ja die Augen auf! Und ich dachte schon, ich bin in
diesen schlafenden Riesen verliebt! Wie hieß er noch? Oger oder so.“
„Jetzt einen Kaffee und ich zeige dir, wie fit Oger sein kann!“, rief
Chris ihr zu.
Karin strahlte. „Kommt sofort.“
Als sie sich an ihren Krücken aus dem Zimmer schwang, biss er sich auf
die Lippen. Kaffee! Er orderte gedankenlos Kaffee — und Karin hatte jetzt ein
erhebliches Transportproblem. Ihr nun jedoch hinterherzurennen wäre verletzend
gewesen. Oder vielleicht doch nicht? Ihm brach augenblicklich der Schweiß aus.
„Sprenger, du Idiot!“, murmelte er. Das durfte ihm nicht noch mal
passieren. Nie wieder!
Aber Karin hatte gar kein Problem. Eine Minute später erschien sie
schon wieder, links eine Warmhaltekanne mit Schraubverschluss, die mit dem
Henkel zwischen Finger und Krückengriff geklemmt war. Rechts trug sie auf die
gleiche Weise zwei Becher, und in der Tasche ihres Bademantels steckte ein
wiederverschließbares Kännchen Kaffeesahne.
Sie trat ans Bett, und Chris nahm ihr die Sachen vorsichtig aus den
Händen. Dann setzte sie sich umständlich auf die Bettkante, warf die Krücken
achtlos auf den Boden und grub die Kaffeesahne hervor.
Der erste Schluck des schwarzen Gebräus weckte seine Lebensgeister
endgültig. Sein Kopf brummte nicht mehr, und auch wenn er die Muskeln im
Oberschenkel
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