Fehlschuss
wunderbarsten Frau, die er je kennen gelernt hatte,
beschäftigt, und sein sonst so klarer Verstand war weich verpackt in
Schäfchenwolken.
Er war erfüllt von Liebe, Stolz und einer fast gluckenhaften
Besorgtheit um sie. Am liebsten hätte er ihr jeden Handgriff abgenommen. Immer
wieder musste er sich zur Ordnung rufen, ihr nicht die Flasche Sprudel aus der
Küche zu holen, den Apfel, die Keksdose aus dem Vorratsschrank. All die
Kleinigkeiten, für die ein gesunder Mensch Dutzende Male hin und her lief, ohne
sich Gedanken zu machen; die man problemlos tragen konnte, wenn man die Hände
frei hatte. Es kostete ihn eine Menge, den Tisch nicht selbst zu decken, den
Aschenbecher, den Karin durchaus leicht erreichen konnte, nicht näher zu
schieben und keinen Wein nachzuschenken, bevor sie sich nach der Flasche
streckte. Er war hin und her gerissen zwischen Rührung und Besorgnis, wenn
Karin ihn aus dem Büro abholte und die zwei Stockwerke bewältigte, statt im
Auto zu warten. Und er war beinahe wütend, wenn Achim und Klaus wie
selbstverständlich von ihr vertreten werden wollten und sie nach solch einem Tag
völlig erschlagen nach Hause kam.
Natürlich, er würde sich daran gewöhnen. Karin war eine erwachsene
Frau, die selber wissen musste, wie viel sie sich zumuten konnte. Sie lebte
fast dreißig Jahre mit nur einem Bein und war all die Zeit allein zurechtgekommen.
„Mein Gott, Sprenger! Du bist auch nicht anders als die Leute auf der
Straße, die Karin anstarren“, murmelte Chris gegen die Windschutzscheibe, als
er in die breite Allee einbog, an deren Ende Eickbooms Villa stand.
Das war nicht unbedingt eine schmeichelhafte Erkenntnis, wie er sich
eingestehen musste. Aber immerhin hatte er das Problem erkannt und würde nun
daran arbeiten können.
Er stellte den Nissan schlampig vor der imposanten Einfahrt ab. Aber
er würde ja hier keine Hütten bauen. Es war kurz vor neun, und wenn er
pünktlich im Gericht sein wollte, durfte er sich höchstens zehn Minuten hier
aufhalten.
Das hohe, schmiedeeiserne Tor war geschlossen. Kaum hatte er seine
Hand auf die Klinke gelegt, als aus dem Garten ein großer Hund heranstürmte. Der
kräftige Labrador-Mischling stürzte zähnefletschend und bellend auf ihn zu.
Sein Fell war gesträubt wie eine Klobürste. Chris blieb draußen stehen. Allein
durch das schwarze, zottige Fell wirkte der Hund furchterregend.
Sekunden später brach ein junger Mann in blauer Latzhose und mit einem
Spaten bewaffnet zwischen den Büschen im Garten hervor. „Harro! Harro! Aus!
Aus! Wieso bist du nicht in deinem Zwinger, du Lump?“
Er packte den Hund am Halsband und Harro gab Ruhe, beäugte Chris
aufmerksam, plötzlich nicht einmal unfreundlich.
„Tschuldigung“, murmelte der Mann, der vermutlich Eickbooms Gärtner
war. „Normalerweise ist er immer hinten im Zwinger! Sie können jetzt ruhig
reinkommen.“
Ganz wohl war Chris nicht. Große Hunde flößten ihm gehörigen Respekt ein.
Er hatte noch nie böse Erfahrungen mit ihnen gemacht. Trotzdem war schon seit
seiner Kindheit eine gewisse Grundangst vorhanden. Vielleicht weil sein Vater
nach einem Hundebiss fast panisch reagiert und dem kleinen Christian das
entsprechende Vorbild geliefert hatte.
Aber da er nun die beiden Eickbooms in der Haustür stehen sah,
alarmiert von dem Aufruhr, doch ansonsten völlig gelassen, sagte er sich, dass
Harro unter Kontrolle sein musste.
Die beiden Männer hätten unterschiedlicher nicht sein können. Der
junge Eickboom lehnte lässig am Türrahmen, in hellen Hosen und dunklem Hemd,
das beinahe bis zum Bauchnabel aufgeknöpft war. Der Alte dagegen stand sehr
aufrecht da und war korrekt gekleidet wie immer: anthrazitfarbene Beinkleider
und die passende Weste über dem weißen Hemd. Seine Halbglatze und seine Nase
glühten bräunlich-golden. War er etwa schon wieder im Urlaub gewesen? Vor nicht
langer Zeit hatte der Sohn doch erst irgendwas von Italien gemurmelt. Auf jeden
Fall aber schien es ihm besser zu gehen als vor ein paar Wochen, stellte Chris
erleichtert fest.
Er stapfte die drei Stufen zur Tür hoch und sagte pflichtschuldigst
zur Begrüßung: „Oh, wo auch immer die Sonne geschienen hat — sie ist Ihnen gut
bekommen!“ Die Eickbooms dieser Welt bei Laune halten war die Devise.
Stefan Eickboom plapperte munter drauflos, sah von der Seite her stolz
auf seinen Vater. „Dabei waren das nur ein paar Tage Spanien! Er macht ja immer
nur Kurzurlaube, wissen Sie. Dieses Jahr war er schon zwei Mal
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