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Fehlschuss

Fehlschuss

Titel: Fehlschuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Geller
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darauf, dass das
Straßenverzeichnis ein Eigenleben entwickelte und laut auf ihre stummen Fragen
antwortete.
    „Warum kann es nicht ein einziges Mal klar und eindeutig sein,
Heinz?“, sagte sie endlich. „Kannst du mir sagen, wann wir den letzten
Totschlag hatten, bei dem der Täter sich zwei Stunden später freiwillig
gestellt hat?“
    Damit war selbst „Statistik-Heinz“ überfordert und hob nur die
Schultern.
    Susanne fasste sich schnell wieder. „Also gut! Dann ab mit dir in die
Hünefeldstraße. Ich könnte wetten, dass sie da irgendwo war.“
    Hellwein seufzte gottergeben, schlüpfte aber in sein Sakko. „Und du?“,
fragte er dabei.
    „Ich?“ Die Kommissarin brachte ein aufmunterndes Lächeln zustande und
wedelte mit dem immer noch feucht aussehenden Taschenkalender. „Ich kümmere
mich mal um das hier!“

Neun
     
    Chris
grinste noch, als er schon fast in der Altstadt war. Susanne wusste genau, dass
ihr seine Quellen verschlossen blieben. Dafür strahlte sie zu sehr die
Polizistin aus, für die fünf immer fünf war und niemals einen geraden Wert
annehmen konnte. Ein Dealer blieb immer ein Dealer, egal, mit welchen
Informationen er aufwartete. Und sie hätte nie das Geschäft gemacht: „Ich sage
dir, was du wissen willst, und du drückst dafür ein bis zwei Polizistenaugen
zu“. Sie würde auch niemals die Sprache der Zuhälter, Prostituierten,
Drogenabhängigen und kleinen Ganoven sprechen. Im wahrsten Sinne des Wortes:
Susanne war in Ostwestfalen geboren und aufgewachsen, Kölsch für sie eine
Fremdsprache, und der Ausdruck „Klüngel“ existierte in ihrem Wortschatz nicht.
Dabei übte dieses „Eine Hand wäscht die andere“ in Köln eine höchst wichtige
Funktion aus.
    Chris dagegen hatte während seiner Arbeit die Sprache und Mechanismen
des Milieus gelernt. Er wusste, welche Hand die andere wusch, kannte Ausdrücke,
die nur jemand aus der Szene verstehen konnte, und wenn es darauf ankam, sprach
er auch Kölsch. Irgendwie schaffte das Vertrauen, verband miteinander. Und er
respektierte einige ungeschriebene Gesetze. So vermied er zum Beispiel
jeglichen Kontakt mit den einschlägigen Lokalen auf den Ringstraßen. Die
Geschäfte dort waren fest in der Hand der Türsteher und großen Dealer — mehr
als eine Nummer zu groß für einen kleinen Anwalt. Er kannte sich dafür umso
besser aus auf dem Drogenstrich, dem „normalen“ Strich, bei den „Freien“. Und
dort gab es einen Ehrenkodex, den er von Anfang an verinnerlicht hatte:
Entgegengebrachtes Vertrauen wurde um nichts in der Welt missbraucht. Kein
Informant namentlich genannt, weder bei der Polizei, noch sonst wo. Und man
verwendete nur die Informationen, die man wirklich brauchte. Irgendwelche
„Abfallprodukte“ vergaß man einfach.
    Susanne würde zwar niemals in diese Welt eintauchen können, nahm aber
regelmäßig dankbar alle Informationen entgegen, die Chris ihr servierte.
Wahrscheinlich wusste sie, dass er ihr nie alles erzählte — eben wegen der
Spielregeln — aber das schluckte sie stillschweigend.
    Die Parkhäuser rund um die Altstadt waren nahezu belegt, und er fand
nur noch einen Platz in der ältesten und dunkelsten Tiefgarage, die es in Köln
gab. Die Decken waren so niedrig, dass man unwillkürlich den Kopf einzog, und
in den vielen Nischen drückten sich gerne Junkies und Obdachlose herum.
    In der Ecke, in der Chris schließlich den Wagen abstellte, stank es
penetrant nach Pisse. Er hielt die Luft an und nahm die erstbeste Treppe nach
oben, die ausgerechnet am Stapelhaus endete. Touristen drängten sich in der
engen Gasse, umlagerten Andenkenläden oder studierten ihre Reiseführer. Die
Tische der Straßencafés waren dicht besetzt. Kellner in weißen Hemden und
schwarzen Hosen liefen geschäftig hin und her und servierten Getränke zu
überhöhten Preisen. Die Luft war erfüllt von Stimmengewirr, Rufen und Lachen.
Ein Stück weiter die Gasse hinunter mischte sich der Duft frisch gebackener
Waffeln mit dem Geruch der öffentlichen Toiletten auf der anderen Straßenseite.
    Chris machte sich schnell davon. Touristenmassen waren ihm genauso
zuwider wie Karneval. In der „fünften Jahreszeit“ verordnete er sich immer
Urlaub und blieb zu Hause. Er mochte weder das Schunkeln, noch wildfremde
Menschen, die betrunken an seinem Hals hingen.
    Er stieg die ausgewaschenen Stufen neben Groß St. Martin hoch und
erhaschte zwischen den Häuserzeilen einen Blick auf die Spitzen der beiden
Domtürme. Die Kreuzblumen leuchteten

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