Fehlschuss
und hatte die nötigen Formalitäten erledigt.
„Es wird ein Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung mit
Todesfolge eingeleitet“, sagte er leise. „Vielleicht erweiterbar auf Totschlag
— je nachdem, was wir ermitteln.“
„Scheiße!“
„Hast du was anderes erwartet?“
Hatte sie nicht. Jedenfalls nicht wirklich. Dass der Fall nach dem
Gesetz im Moment nicht als Mord eingestuft werden konnte, war auch ihr klar.
Sie hatte sich jedoch der unsinnigen Hoffnung hingegeben, dass wenigstens von
vornherein auf Totschlag erkannt würde. Das hätte mehr Leute bedeutet,
effizientere Ermittlungen, die die Staatsanwaltschaft von ihnen einforderte,
eine Sonderkommission. „Körperverletzung mit Todesfolge“ dagegen hieß ein
Minimum an Aufwand. Das rangierte auf der untersten Stufe der
Wichtigkeitsskala.
„Wir müssen Prioritäten setzen, Frau Braun, Prioritäten“, hörte sie im
Geiste die Stimme von Kriminalrat Steffens, ihrem direkten Vorgesetzten. Die
Prioritäten lagen schon lange nicht mehr in der Art und Weise eines
Verbrechens, sondern einzig und allein darin, wie der Staatsanwalt entschied.
„Wer ist der zuständige Staatsanwalt?“ Sie stand auf und stippte ihren
Zeigefinger in die Erde der Grünlilie auf dem Fensterbrett.
„Kremer!“
Susanne verdrehte die Augen. Auch das noch! Dieses blutjunge
Bürschchen, das von nichts eine Ahnung hatte. Aber natürlich! Solange Kremer so
nervös-bubihaft seinen Job machte, würde man ihm immer die unwichtigeren Dinge
aufs Auge drücken.
„Ich war auch schon bei Steffens“, setzte Hellwein hinzu. „Wir haben
Klippstein und Müller im Team. Mehr nicht.“
„Verstehe!“ Susanne atmete hörbar ein und ging mit einer kleinen
Plastikgießkanne zum Waschbecken neben der Tür. „Dann lass uns anfangen! Wenn
Klippstein zurückkommt, wird er hoffentlich ein Foto von Lautmann dabeihaben.
Er und Müller sollen sich den Wohnblock vornehmen. Jede einzelne verdammte Tür.“
Hellwein nickte zustimmend. „Müller ist schon dabei, das Register des
Einwohnermeldeamtes mit unseren Daten abzugleichen. — Vielleicht haben wir ja
Glück.“
„Gut! Du nimmst dir die Betriebe vor. Zeig ihr Bild, frag herum.
Irgendjemand muss doch was gesehen oder gehört haben.“
„Es ist Samstag“, warf Hellwein ein und erntete einen bitterbösen
Blick. Als ob er persönlich an gesetzlich geregelten Arbeitszeiten,
Öffnungszeiten oder sonst was die Schuld trüge, was jetzt die polizeilichen
Ermittlungen behinderte, bis Montag früh praktisch auf Eis legte.
„Fang trotzdem an“, verlangte die Kommissarin. Sie hatte die Pflanze
gegossen und ließ sich wieder in ihren Stuhl fallen. „Es gibt Hausmeister,
Pförtner, private Wachgesellschaften.“
Es folgte ein tiefer Seufzer Richtung Stadtplan. „Mein freies
Wochenende“, murmelte sie dann.
„Wie hast du´s deinem Bruder beigebracht?“ Hellwein schien ehrlich
interessiert.
„Beigebracht? — Wie immer! Ich frage mich nur, wie er seinen Kindern
beibringt, dass ihre Tante wiedermal nicht kommt! Es ist zum …“
Die Tür flog auf und Hans-Gerd Müller stürzte herein. Der ewig
aufgeregte, eifrige Müller. Eine dunkle drahtige Haarlocke war ihm in die Stirn
gefallen.
Er wedelte mit einem Zettel in den nikotingelben Fingern seiner
rechten Hand. „He, Leute, ich hab was!“
Als er sicher sein konnte, die ganze Aufmerksamkeit der beiden zu
haben, faltete er mit einer beinahe theatralisch wirkenden Geste seinen Zettel
auseinander. „Arne Steinkühler“, las er ab, „wohnt Mathias-Brüggen-Straße 12.
Hat zwei Mal gesessen wegen gefährlicher Körperverletzung.“
Das beeindruckte weder Hellwein noch Susanne. Aber Müller hatte noch
ein As im Ärmel. „Und er hat einen Hund!“, setzte er triumphierend hinzu.
Das elektrisierte nun beide. Fast gleichzeitig sprangen sie aus ihren
Stühlen.
„Hund?“, echote Susanne.
„Hund“, bestätigte Müller nickend. Die Haarlocke wippte rhythmisch
mit.
„Worauf warten wir dann noch?“
Zwei Stunden später machte sich bei dem kleinen Ermittlungsteam
Ernüchterung breit. Wie hätte es auch so einfach sein sollen? Arne Steinkühler
befand sich seit vier Tagen mit einer Busreisegruppe an der Costa Brava. Sein
Hund, den die Nachbarin in Pflege hatte, war ein reinrassiger Golden Retriever.
Und der war so blond, wie ein Hund nur blond sein konnte.
Susanne fixierte wieder einmal ihren geliebten Stadtplan und kaute auf
der Unterlippe herum. Manchmal wartete Hellwein förmlich
Weitere Kostenlose Bücher