Fehlschuss
wie ein Aal. Es gefiel ihm besser, wenn sie sich
aufbäumten, sich wehrten gegen das Ende. Er hatte sein Messer gar nicht so oft
benutzt, wie er eigentlich wollte, bevor sie endgültig zusammenbrach. Da
bettelte sie nicht mehr um ihr Leben, sondern nur noch darum, dass es vorbei
sein sollte, endlich vorbei. Schließlich tat er ihr den Gefallen und nahm die
Pistole. Weil sie ihm auf die Nerven fiel mit ihrem Gewimmer. Weil sein Schwanz
schmerzhaft in der Hose drückte, steil aufgerichtet verlangte, was ihm zustand.
Es war so einfach, so unkompliziert. Gehört hatte den Schuss mit
Sicherheit niemand. Nicht hier. Es war eine brillante Idee gewesen, hierher zu
fahren, an den Lieblingsplatz der anderen. Das würde der Polizei noch mehr
Rätsel aufgeben. Nachher würde er sich noch ihre Wohnung anschauen. Schaden
konnte es nichts.
Er war zufrieden mit sich, sehr zufrieden. Nicht so wie letzte Woche,
als er im Krankenhaus anrief und die ihm sagten, seine „Schwester“ sei tot.
Diese Inge hatte nicht sterben sollen. Das war sein klarer Auftrag gewesen.
„Heiz ihr ein und besorg das Negativ“, hatte sein Onkel gesagt und ausdrücklich
hinzugefügt, dass sie am Leben bleiben sollte. Darauf hatte der deutsche Freund
seines Onkels bestanden.
Dumm gelaufen, dass diese Inge nun doch tot war. Aber nicht mehr zu
ändern. Danach hatte sein Onkel ihn allerdings gewarnt: Unauffällig bleiben!
Nichts, aber auch gar nichts mehr riskieren, was noch intensivere polizeiliche
Ermittlungen zur Folge haben könnte.
Das galt bis heute Nachmittag. Bis diese blonde Tussi auftauchte und
den Freund seines Onkels in Panik versetzte. Er hatte keine Ahnung, was da
gelaufen war. Aber zwei Stunden später erhielt er eine eindeutige Anweisung.
Keine Rede mehr von „unauffällig bleiben“.
Da wusste er, dass er die Scharte mit dieser Inge wieder auswetzen
konnte. Und es durfte keine weiteren Betriebsunfälle mehr geben. Sonst würde er
selbst bald im Nirwana landen. Sicher, sein Onkel liebte ihn, hatte ihn zu
seinem Nachfolger bestimmt. Aber gerade deshalb durfte er sich keine Schnitzer
erlauben. Die Fehler, die er als Neffe machte, wogen doppelt so schwer wie die
der anderen.
Er war gespannt, wie es weitergehen würde. Schließlich waren sie der
Lösung ihres eigentlichen Problems noch keinen Schritt näher gekommen. Und es
gab so vieles, was unklar war. Sie wussten zum Beispiel nicht, ob Inge noch mit
dem Mann reden konnte, der sie da im strömenden Regen aufgelesen hatte. Sie
wussten nicht, wer der Mann war. Wie fand man einen Mann, von dem man nur das
Gesicht und sein dunkles Auto gesehen hatte? Irgendeins! Nicht mal die Farbe
hatte er erkennen können. Alles war möglich: von anthrazit über schwarzgrün bis
nachtblau. Natürlich, wenn der Mann vor ihm stünde, würde er ihn
wiedererkennen. Ein Gesicht, das er einmal gesehen hatte, vergaß er nicht mehr.
Aber das half ihnen im Moment auch nicht weiter.
Eines war jedoch sicher: Wenn sie den Mann fänden, würde er ihn
mundtot machen müssen. Vorsichtshalber.
Ein hässliches Lächeln zog über sein Gesicht, als er die
Autobahnauffahrt erreichte. Auch den nächsten Auftrag würde er zur vollsten
Zufriedenheit ausführen.
Es würde keine Fehler mehr geben.
Siebzehn
Als der
Wecker klingelte, hatte Chris das Gefühl, gerade erst ins Bett gegangen zu
sein. Sie waren ins Erzählen gekommen dort beim Griechen und hatten dabei die
Zeit vergessen.
Zunächst blockte er das Gespräch über „seine Ärztin“ ab und hörte
stattdessen fasziniert zu, wie Karin von ihrer früheren Arbeit bei einem
Nachrichtenmagazin berichtete. Das einschneidendste Erlebnis waren wohl sechs
Wochen auf dem Balkan gewesen, in denen sie eine Fotoreportage über Menschen
gemacht hatte, die durch Bomben und Minen schwerstbehindert waren. Die trotz
ihrer Verstümmelungen und fehlender Hilfsmittel weder Hass noch Verbitterung
empfanden und mit Ideenreichtum und einer guten Portion von schwarzem Humor das
Beste aus ihrer Situation machten.
Karin schloss mit dem Satz: „Danach hatte ich nie wieder
Selbstmitleid, glauben Sie mir!“
Das waren die einzigen Worte an diesem Abend, die zu ihrer Kindheit oder
zu ihrer eigenen Behinderung fielen. Und Chris hatte das Gefühl, dass es auch
nicht wichtig war. Nicht mehr. Karin war Karin, und das genügte.
Im Gegenzug erzählte er, wie er zu seiner Arbeit mit Prostituierten
gekommen war, mit welchen Schwierigkeiten diese Frauen zu kämpfen hatten.
Irgendwann beschlossen sie,
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