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Fehlschuss

Fehlschuss

Titel: Fehlschuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Geller
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und
Brigitte Tönnessen gemeinsam haben könnten, um Totschlag, Mord und durchwühlte
Wohnungen unter einen Hut zu bringen.
    Er wünschte, er könnte Karin in die Arme nehmen und einfach sagen:
„Heh, Süße, es war alles nur ein schlechter Traum. Ich bin da, und alles ist
gut!“
    Nichts war gut, überhaupt nichts. Aber nachdem die Flasche leer war,
wusste er nicht mal mehr das.
     
    Chris stand mit dem Gefühl auf, als wäre er von einem Bus überfahren
worden. Trotz — oder gerade wegen — des vielen Alkohols hatte er kaum
geschlafen. In seinem Kopf hatte ein wildes Chaos aus Dominas in Lederkleidung,
Leichen, Wäldern, Kieselaugen, Schmollmündern und Freiern in Maßanzügen
geherrscht.
    Seine Glieder fühlten sich schwer an, er war müde und zerschlagen. Ein
ungutes Gefühl in der Magengegend. Nicht vom Schnaps, sicher nicht.
    Und natürlich hatte sich an diesem Morgen alles gegen ihn verschworen:
Die Rasur endete blutig, sein blaues Lieblingshemd war in der Wäsche, von den
bequemen grauen Slippern, die er heute tragen wollte, war zunächst nur der
linke auffindbar, und der Autoschlüssel blieb spurlos verschwunden.
    Den rechten Schuh fand er schließlich in der hintersten Ecke des
Schuhschranks, und der Ersatzschlüssel war ausnahmsweise da, wo er hingehörte:
in dem Schubladenkasten, über dem „Grete“ hing. Im Auto stellte er dann fest,
dass er den Originalschlüssel gestern Abend im Zündschloss hatte stecken
lassen.
    Das Wetter passte zu seiner Stimmung. Der Himmel war grau, und es
nieselte leicht. Dazu eine drückende Schwüle, die die Abgase in den Straßen
festhielt und das Atmen schwer machte.
    Als er ins Büro kam, war er ähnlich gut gelaunt wie ein hungriger
Grizzly. Die Nixe trug heute auch noch zu einem eng anliegenden schwarzen
Kostüm diese riesigen Goldkreolen, die er nicht ausstehen konnte. Sie empfing
ihren Chef gleich mit: „Ihre Mutter hat angerufen, um Sie an den
Kaffee-Donnerstag zu erinnern.“
    Das fehlte gerade noch! Aber heute war Donnerstag, der vorletzte im
Monat. Und seit sein Vater gestorben war, ging er jeden vorletzten Donnerstag
im Monat zu seiner Mutter und ließ sich mit Kaffee und selbst gebackenem Kuchen
verwöhnen. Dazwischen gingen sie manchmal miteinander essen oder verabredeten
sich zu einem Spaziergang im Stadtwald. Das war eine flexible Angelegenheit.
Der vorletzte Donnerstag im Monat allerdings war eine Institution. Eine Absage
akzeptierte Luise nur bei Naturkatastrophen oder vierzig Grad Fieber.
    Welcher sechste oder siebte Muttersinn hatte sie wohl dazu bewogen,
ausgerechnet dieses Mal daran zu erinnern? Es war nicht ihre Art, ihrem Sohn
hinterherzulaufen, aber ausgerechnet heute hätte er es wahrscheinlich
vergessen.
    Die Nixe brachte wie üblich Kaffee und stellte offenbar gleich die
richtige Diagnose. Jedenfalls plauderte sie nicht, sondern blieb ein paar
Sekunden unschlüssig stehen.
    Mindestens eine Sekunde zu viel.
    „Is´ was?“, blaffte Chris.
    Die Nixe kniff die vollen Lippen aufeinander und trat wortlos den
Rückzug an. Noch bevor sie die Tür erreicht hatte, tat es ihm Leid. Aber er
hatte nicht die Kraft, aufzustehen, ihr ins Vorzimmer zu folgen und sich zu
entschuldigen.
    Stattdessen wählte er wieder einmal die Nummer von Karin — nur um
diesen beschissenen, gotterbärmlichen Anrufbeantworter zu hören. Wutschnaubend
knallte er den Hörer auf. Erledigte halbherzig seine Post, mit einem Kribbeln
im Bauch, das von Minute zu Minute stärker wurde.
    Gegen halb elf gab er endgültig auf, rief nochmals bei Karin an —
alles wie gehabt. Dann schnappte er sich sein Sakko und stürmte mit einem „Bin
außer Haus“ an der Nixe vorbei.
    Aber die rief ihm hinterher: „Sie haben um eins einen Termin mit Frau
von der Höh!“
    „Dann sagen Sie ihn ab, verdammt nochmal!“, rief er wütend und knallte
die Tür zu.
    Er war noch nicht im Erdgeschoss, als es ihm diesmal wirklich Leid
tat. Er lief zurück, riss die Tür auf und blieb einigermaßen zerknirscht darin
stehen.
    Die Nixe schaute erstaunt von ihrem Computer auf und schob das rote
Brillengestell nach oben.
    „Entschuldigung“, murmelte Chris.
    „Ist schon gut!“ Sie erteilte ihm mit einer wegwerfenden Handbewegung
die Absolution.
    „Es muss mitunter ein Alptraum sein, für mich zu arbeiten“, beharrte
er.
    Seine Mitarbeiterin legte den Kopf schief und sagte einfach: „Ich mag
Sie“, als ob das alles erklärte. Dann wandte sie sich wieder ihrem Bildschirm
zu.
    Chris fiel nichts Besseres

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