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Fehlt noch ein Baum

Fehlt noch ein Baum

Titel: Fehlt noch ein Baum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irina Tabunowa
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die in getrocknetem Zustand ziemlich piekten. Wobei natürlich keiner meiner Appelle, diese Späne über einer Zeitung zu hobeln, erhört wurden. Veras Vater schuppte sich hartnäckig auf dem Bett. Der vielschichtige Zwiebeljunge, von dem einem die Tränen kommen. Cipollino …
    Â»Liebster, wie oft soll ich es denn noch sagen, kratz dir deine Haut doch wenigstens auf den Fußboden! Ich bin doch kein Fakir, ich habe mir mit deiner Organik schon den ganzen Hintern zerstochen.«
    Â»Entschuldige, ich war beschäftigt. Mir kam gerade ein Gedanke. Ich habe ein Gedicht geschrieben, Ira!«
    Â»Du hast mir nicht gesagt, dass du Dichter bist, als wir zusammenzogen. Ich hätte es mir dann vielleicht anders überlegt. Ich dachte, ich liebe einen Fotografen. Hör mal, könntest du nicht Prosa schreiben? Mit Lyrik hab ich es eigentlich nicht so …«
    Â»Ja, es ist Lyrik, Ira. Poesie! Das hat nichts mit deinem profanen Journalismus zu tun! Ach, was sage ich, dir ist ja nicht mal mehr das geblieben.«
    Â 
    Mit seinem gebrochenen Bein und mir als Schwangeren hatte Veras Vater urplötzlich angefangen, Gedichtezu schreiben. Besonders angetan hatte es ihm die philosophische Lyrik – also Texte, die aus der Sicht der Massenmedien absolut unbrauchbar sind. Das hat schließlich nichts mit »Ach du, mein Häschen …« zu tun.
    Ich kann jede Art von Texten leiden. Das einzige Kriterium ist die Qualität. Mir ist nicht wichtig, ob es sich um Prosa, Lyrik oder einen Vortrag handelt. Aber Poeten als solche kommen mir verdächtig vor. Besonders, wenn es Männer jenseits der Teenagergrenze sind. Lyrik ist eine aussichtslose Angelegenheit, wenn man sie ernsthaft betreibt. Mir scheint, dass im Unterschied zu den Prosaisten die Poeten tatsächlich auf irgendeiner Wolke schweben und sich in der Realität nicht zurechtfinden.
    Nehmen wir zum Beispiel Puschkin. Der war eine Zeit lang auf zarten erotischen Füßchen in der russischen Literaturszene unterwegs und hat die jungen Dinger mit seiner Genialität verführt.
    Aber er war bekanntlich nicht lange unterwegs, wie jeder weiß, wurde er wegen seiner Frau, dem Miststück, von d′Anthès erschossen. Aber das ist nur die offizielle Version. Wie war es wirklich?
    Beginnen wir mit der Geburt. Sascha Puschkin war ein Kind von Cousin und Cousine zweiten Grades, um seine Gene war es also nicht bestens bestellt. Statt Karriere zu machen wie ein normaler Kerl, trieb er sich bis zu seinem Ableben mit Kammerjunkern am Hof des Zaren herum, deren Durchschnittsalter bei achtzehn bis zwanzig Jahren lag. Die waren eine Art Junior-Manager, wenn man es in die moderne Sprache übersetzen will.
    Als seine Jugend vorüber war und alle seine Freundeanfingen, sich eine Karriere, Ehefrau und Kinder zuzulegen, beschloss auch Sascha Puschkin endlich, sich zu sozialisieren. Er wählte eine junge Frau und machte ihr einen Heiratsantrag. Als Hochzeitsgeschenk bekam Natalja von ihm seine Don-Juan-Liste. Sie heulte die ganze Nacht und hatte das sichere Gefühl, dass sie von diesem Poeten nichts zu erwarten hatte. Keine modischen Kostbarkeiten, kein Traberpferd aus Orjol und nicht einmal einen anständigen Kuhstall.
    Da er wiederum überzeugt war, dass seine Frau ihn nicht besonders liebte und nicht einmal als Gebieter achtete, benahm sich Sascha Puschkin äußerst gemein und fing an, sich in kürzester Zeit fortzupflanzen und zu mehren. Er machte Natalja fünf Kinder hintereinander, wahrscheinlich hatte er bemerkt, dass Kindermachen das Einzige war, was er konnte, abgesehen von den Versen. Und: ich glaube nicht, dass er von seinen früheren Edel-Nutten noch nichts von Verhütung gehört hatte.
    Wahrscheinlich hat er in der Anzahl seiner Kinder sogar Lew Tolstoi übertroffen. Die von den Geburten ausgezehrte Natalja wird wohl ganz bewusst den Killer d′Anthès auf ihn gehetzt haben, der in sie verliebt war. Als Frau kann ich sie verstehen.
    Natürlich können auch Prosaisten diesen Tick haben, wie Lew Tolstoi zum Beispiel. Als Tolstois kleiner Wanja starb, dachte der große Schriftsteller am Grab seines Sohns darüber nach, wie er darüber schreiben könnte.
    Nach seiner Rückkehr vom Krimkrieg als ruhmloser Offizier schwor er sich, ein General der Literatur zu werden.
    Sein Leben lang führte er Tagebuch und versuchte, ausschließlich schriftlich mit seiner Familie zu kommunizieren,und

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