Fehlt noch ein Baum
gegenüber übrigens auch etwas anzumerken.«
»Ach, was gefällt ihm denn nicht?«
»Er hat sich beklagt, dass du ständig halbnackt in der Wohnung herumläufst. Ira, so geht das nicht. Zieh dir was über.«
»Und was erlaubt er sich? Ständig führt er seine gestreiften Unterhosen vor. Er hat damit angefangen, halbnackt in unserer Wohnung herumzulaufen! Als wären wir in einer Sauna!«
»Und du hast mitgemacht! Und zwar einigermaÃen effektvoll â ich habe alles gesehen!«
Während meiner Schwangerschaft reizten und nervten mich ein Haufen Dinge. Dazu gehörte auch die Angewohnheit von Freund Ljoscha, sich bis auf die Unterwäsche auszuziehen, ohne sich vor mir zu genieren. Wahrscheinlich fühlte er sich bei uns wirklich wie zu Hause.
Ich wollte es ihm also gleichtun und zog mich ebenfalls vor ihm aus, eisern nach der Logik »Auge um Auge, Zahn um Zahn«.
Das sah dann folgendermaÃen aus:
Freund Ljoscha kam spät von der Arbeit nach Hause und zog sich gedankenverloren Pullover und T-Shirt aus. Sofort streifte ich mein Top ab. Ljoscha hielt für eine Sekunde inne, sah mich erstaunt an und öffnete die Knöpfe seiner Hose. Daraufhin warf ich die Schlappen von den FüÃen und zog die Socken aus. Ljoscha stieg aus seiner Hose und hängte sie ordentlich über die Stuhllehne. Daraufhin zog ich mir ebenfalls meine Jeans aus. Ljoscha schielte angestrengt Richtung Bücherregal und kratzte sich seine anämische Brust.
Auch ich kratzte mir die rechte Brust, und um den Effekt zu verstärken, ging ich dabei am Bücherregal entlang â hin und her. Daraufhin sah Freund Ljoscha konzentriert aus dem Fenster. Genau in diesem Moment kam Veras Vater ins Zimmer.
»Was geht hier vor sich? Ira, kannst du dir nicht was überziehen?«
»Geht nicht, mir ist heiÃ.«
»Ja, es ist wirklich irgendwie heià im Zimmer. Na gut, ich geh dann mal,
The Hero 3
wartet auf mich! Ich habe das nächste Level erreicht.«
Im Prinzip hörte Freund Ljoscha nach diesem Vorfall auf, nur in Unterhosen durch die Wohnung zu gehen. Aber dafür hatte ich daran Gefallen gefunden. Deswegen fing Ljoscha immer gleich an zu lesen, sobald er mich sah. Und das vor allem im Badezimmer, das er mit überirdischer Liebe verehrte. Praktisch wohnte er dort, während Veras Vater und ich erörterten,wer recht hat, wer schuld ist und überhaupt, wer in Russland glücklich lebt.
»Du hast schon wieder das Geschirr nicht abgeräumt!«
»Aber das wolltest du doch übernehmen. Du hast mir nicht gesagt, dass ich die Gläser spülen soll.«
»So ist es immer. Warum weià ich eigentlich, dass man sein Zeug wegräumt, und du blendest diesen Bereich der menschlichen Lebenstätigkeit ständig aus.«
»Wer viel weiÃ, der leidet viel, Irina. Liebste, geh spazieren, schnapp ein bisschen frische Luft.«
»Immer dasselbe Lied!«
»Ira, du fängst schon wieder an zu streiten, wie oft denn noch? Du bist ein Energiesauger! Hör auf, mir Energie abzuzapfen!«
»Wenn ich ein Energiesauger wäre, dann müsste ich mich nach deiner Logik besser fühlen. Aber stattdessen fühle ich mich nach jedem Gespräch mit dir wie ausgelaugt.«
»Richtig. Meine Energie ist nämlich vergiftet. Du saugst sie ein und vergiftest dich damit.«
»Ach so. Und ich dachte, ich habe eine Gestose â¦Â«
»Das auch. Denk an das Kind!«
»Eben! Man könnte ruhig ein wenig Nachsicht walten lassen, immerhin erwarte ich ein Kind.«
»Ich erwarte auch ein Kind, Ira! Und auÃerdem habe ich ein gebrochenes Bein! Hast du eine Ahnung, wie das juckt?«
Das Bein von Veras Vater juckte tatsächlich fürchterlich unter dem Gips. Eines Tages wachte ich von seltsamen Geräuschen auf, die aus der Küche drangen. Als würde jemand ein Messer wetzen. Als ich in die Küche kam, ertappte ich Veras Vater bei dem Versuch,den Gips mit einem MeiÃel und einer Feile zu entfernen. Der ganze FuÃboden war mit feinem Gipsstaub übersät.
Einige Tage später errang er endlich den Sieg, und der Panzer war vom Beim (einen Monat vor der Zeit).
Das Bein unter dem Gips sah nicht sonderlich appetitlich aus. AuÃerdem fing die abgestorbene Haut bald darauf an, sich zu schuppen. SchlieÃlich hatte Veras Vater vor dem Fernseher liegend sein ganzes Bein aufgekratzt. Unser Bett war übersät mit Hautfetzen,
Weitere Kostenlose Bücher