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Fehlt noch ein Baum

Fehlt noch ein Baum

Titel: Fehlt noch ein Baum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irina Tabunowa
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dort, dafür können wir unsere Kinder selbst beaufsichtigen.
    Als ob ich mit Vera allein nicht schon genug zu tun hätte …
    Nein, meine Tochter soll von klein auf einen weiten Horizont haben und kein verknöcherter Xenophob werden. Dann kann sie später mal einen tschetschenischen Wahhabiten heiraten, zum Beispiel.
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    6. Oktober 2003
Herbst
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    Es ist Herbst. Ich muss meine Tochter neu einkleiden. In Polynesien zum Beispiel machen sich die Mamas keine Sorgen, was sie ihren Kleinen anziehen. Und wer ist schuld daran, fragte ich mich? Ich weiß es – Dolgoruki ist schuld! Er hätte Moskau doch auf Jalta errichten können …
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    10. Oktober 2003
Dekorativer Knüppel
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    Meine Mutter hat Vera einen dekorativen Schlagstock gekauft. Meiner Tochter gefiel er gleich – er ist aus Holz und klein, mit einem Wort: eine vereinfachte Variante für Kinder. Vielleicht will meine Mutter ihrer Enkelin als Nächstes hölzerne Handschellen schenken?
    Man sollte dem Mädchen einen Kampfsport beibringen, damit sie später ihre Jungfräulichkeit verteidigen kann. Außerdem kann man sich dabei gut abreagieren. Ein Hieb mit dem Knüppel – und der Kiefer des Angreifers ist futsch! Noch ein Schlag – und die Nasenwurzel ist hin. Man braucht nicht mal einen richtigen Schlagstock, es reicht auch ein einfacher Schraubenschlüssel oder im äußersten Fall auch ein Baseballschläger.
    Mich ärgert das Geschrei darüber, dass die Frau zart, zerbrechlich und schwach sein soll. Diesen Blödsinn haben sich wahrscheinlich labile Kerle ausgedacht, damit sie sich leichter in Torwegen an abgezehrte Frauen heranmachen können.
    Das würde bedeuten, die einzigen legitimen Mittel der Frau zu ihrer Selbstverteidigung seien Schreien und Hysterie. Doch sobald sie anfängt, auf den Angreifer einzuschlagen, werden verbal die Hunde auf sie gehetzt, nach dem Motto »Wie kann man nur so unweiblich sein«.
    Ich persönlich bin für die Gleichberechtigung der Geschlechter. Auch Frauen haben ein Recht, Gewalt anzuwenden.
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    13. Oktober 2003
Vom Ewigen
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    Viele meiner Freundinnen litten unter einer postnatalen Depression. »Das Kind, das ist ja jetzt für ewig da, Mist!« Ich aber denke, wir Frauen streben doch immer nach Stabilität und Beständigkeit. Und ein Kind ist schließlich eine feste, beständige Größe! Man sollte sich freuen, dass es nun etwas gibt, das für immer bleibt.
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    15. Oktober 2003
Vom Engel
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    Meine Schwester hat erzählt, dass nach altem jüdischem Glauben ein Kind bei seiner Geburt alles über diese Welt weiß. Alle Erfahrungen aller Menschen sind in dem kleinen Kind vereint. Aber in den ersten Minuten nach der Geburt kommt ein Engel zu ihm geflogen, legt ihm einen Finger auf die Lippen und sagt: »Pssssst!« Und der Säugling vergisst alles. Als Andenken bleibt ihm nur eine Kuhle über dem Mund – die Spur vom Engelsfinger.
    Gut, dass der Engel bloß seinen Finger auf unseren Mund gelegt hat. Was wäre, wenn er uns den Mund mit der ganzen Hand verschlossen hätte?
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    17. Oktober 2003
Ausgeburten der Nacht
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    Ich schaue auf meine winzige Tochter Vera. Heute ist sie bis ein Uhr nachts nicht wieder eingeschlafen. Um vier Uhr ist sie aufgewacht und um sechs Uhr morgenswieder eingeschlafen. Gestern und vorgestern dasselbe Spiel. Meine Tochter ist leicht dazu zu überreden, tagsüber ein wenig zu schlafen, aber nachts ist es sehr schwierig. Daraus ziehe ich den Schluss, dass sie eine geborene Nachteule ist.
    Dabei sieht es bei meinen Freunden, die Säuglinge haben, genauso aus. Vielleicht sind wir alle Kinder der Nacht, wenn der Biorhythmus noch von der Natur diktiert wird? Und wenn wir heranwachsen, zwingen wir uns, am Tag zu funktionieren? Vielleicht stehen wir völlig überflüssigerweise morgens auf und unser eigentliches Element ist die Finsternis?
    Wir kommen aus der Dunkelheit und kehren in die Finsternis zurück, warum also sollte uns in der Zwischenzeit die Sonne scheinen – diese dumme Leuchte?
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    18. Oktober 2003
Sperma gegen Blut
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    Für die Schaffung neuen Lebens auf der Erde bekommt man mehr Geld als zur Erhaltung des Lebens selbst. Hier ein Beispiel. Veras Vater verdiente eine Zeit lang sein Geld damit, dass er Sperma bei einer Samenbank spendete. Für eine Portion dieses wertvollen Produkts bekam man im vorletzten Jahr siebenhundert

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