Fehlt noch ein Baum
Menschen über zwanzig noch ums Essen? Für sie gibt es doch nichts mehr zu entdecken (na gut, vielleicht noch Austern oder irgendein Kohl aus dem Himalaja). Es ist eine einzige öde Herumkauerei plus Stuhlgang.
In diesem Zusammenhang verstehe ich auch die Schönheitschirurgie nicht. Warum soll man sich quälen und verschiedene Stücke aus seinem Körper schneiden sowie Fett absaugen lassen, wenn man die Sache viel einfacher lösen könnte, indem man die Geschmacksrezeptoren der Zunge entfernt? Damit jedes Essen denselben eintönigen Geschmack hat.
Aber obwohl ich immer mehr davon überzeugt bin, dass die Zubereitung der meisten Gerichte eine völlig sinnlose Beschäftigung ist, hat sich bei mir eine ganze Bibliothek von Kochbüchern angesammelt. Meine Liebe zu ihnen hat nichts mit essen zu tun, ich lese sie, ummich abzulenken, und schaue mir die Bilder an ⦠Ãbrigens mag ich in der Malerei die Stillleben besonders gern. Die Flamen und dann die Holländer, der märchenhafte Anblick von Lebensmitteln.
Im normalen Leben bin ich der Ãberzeugung, dass das beste Essen ein gutes und fettes Stück Fleisch ist, und hinterher trinkt man einen Becher schwarzen Tee, danach hat man mindestens fünf Stunden keinen Hunger. Vielleicht reicht es auch für sechs oder sieben â das hängt von der GröÃe des Fleischstücks ab.
Ãberhaupt bin ich für einfaches Essen. Ich mag einfach nur Fleisch, einfach nur Kefir, einfach nur Kartoffeln mit Hering.
Allerdings schwärme auch ich manchmal für kulinarische Erlesenheiten. Wobei das zu ganz bestimmten Zeiten passiert. Ich fange an, mehr und fein zu kochen, wenn bei mir alles zum Teufel geht. Zum Beispiel war es vor der Trennung von Veras Vater so.
Ich brutzelte nicht, um satt zu werden, es ging um den Prozess selbst. Offensichtlich zieht mich an der Kochkunst etwas Alchemistisches an, das Streben danach, inmitten des Chaos in meinem Inneren wenigstens in Alltagsdingen eine gewisse Ordnung herzustellen.
In der letzten zweisamen Woche kochte ich wie eine Wahnsinnige. Tagelang zauberte ich in der Küche, formte Piroggen mit Hackfleischfüllung aus fünf verschiedenen Fleischsorten, verzierte riesige Tortentürme mit Cremes in allen Farben des Regenbogens, schnippelte Salate.
Wenn Veras Vater das alles aÃ, kam es mir vor, als vernichte er die herrlichsten Kunstwerke und zerstöre die Symbole des Familienlebens.
»Liebster, hast du die Piroggen von diesem Teller genommen?«
»Klar.«
»Und wo hast du sie hingetan?«
»Ira, ich habe sie gegessen â¦Â«
»Wie konntest du nur, ich habe so viel Zeit dafür gebraucht!«
Ansonsten ziehe ich es vor, übers Essen zu lesen. Und wenn nicht zu lesen, dann darüber zu schreiben. Ich bin ein kulinarischer Theoretiker, ähnlich einem Bekannten von mir, der es nie schafft, den Führerschein zu machen, sich aber ständig Autoersatzteile und Zeitschriften wie
Hinterm Steuer
oder
Mein Auto
anschaut.
Im Prinzip unterscheidet sich die Giftmischerei nicht wesentlich von der Kochkunst. Zum Schluss tat ich an alle Gerichte Auberginen, die einzige kulinarische Phobie von Veras Vater. Oft hat er sie mit einem blau angelaufenen und abgefallenen Penis verglichen.
»Liebste, warum hast du Auberginen in die Fischsuppe getan?«
»Ich wollte das so. Wenn du es nicht magst, dann lass es stehen.«
»Du hast leicht reden. Wenn du es nicht magst, dann lass es stehen, schau nicht hin, riech nicht dran, fahr Taxi und setz eine Gasmaske auf!«
»Warum schreist du mich so an?«
»Weil ich die Faxen dicke habe! Mal heulst du im Badezimmer, mal lachst du hysterisch über das
Politbarometer
, dann tust du Auberginen in den Eintopf, obwohl du weiÃt, dass ich sie nicht mag. Ich habe nicht mehr das Gefühl, ein Erwachsener für dich zu sein! Willst du mich zu deinem Daddy machen, der alles verzeiht?Oder gleich zu deiner Mama, die dem Töchterchen den Rotz abwischt?«
»Was soll denn schon dabei sein, warum eigentlich nicht? Ich weià schon lange nicht mehr, wie du im Bett bist!«
»Richtig, Ira, denn ich kann nicht mit einer Frau schlafen, die meinen Penis in eine Nabelschnur verwandelt!«
Ich erinnere mich noch an die letzte Nacht unseres gemeinsamen Lebens. Ich hatte bereits meine Sachen gepackt. Wir lagen da in inniger Umarmung, und Veras Vater beruhigte mich â auf einmal zerfloss ich in Selbstmitleid.
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