Fehlt noch ein Baum
Fersen von Erwachsenen nicht schmecken würden, hart und salzig seien und nicht mal als Snack zum Bier taugten.
AuÃerdem erinnerte er mich an ein Zitat aus dem Film
Die Sonne, die uns täuscht
, wo Nikita Michalkow mit seiner Tochter (die auch wirklich seine Tochter ist) in einem Boot sitzt. Nadja Michalkowa fragt: »Was ist Kommunismus?« â woraufhin ihr Michalkow antwortet: »Siehst du, was für zarte Fersen du hast? Ich habe keine solchen Fersen. Ja, und der Kommunismus, das ist, wenn alle Menschen auf der Erde so zarte Fersen haben wie du, meine Tochter.«
Also ist bei Vera gerade der Kommunismus ausgebrochen. Essen hat sie und Geld kennt sie nicht, wenn man ihr einen Hunderteuroschein gäbe, würde sie ihn zerreiÃen oder auf ihm herummümmeln.
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9. November 2003
Milchertrag
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Vera braucht immer mehr Milch. Meine reicht nicht immer, dann ist sie unzufrieden. Sie dreht und wendet sich und quiekt.
Meine Schwester beobachtete, wie ich Vera stillte, und sagte:
»Dein Milchertrag ist zu klein, Schwesterchen, dazu noch kalorienarm! Es ist an der Zeit, dich zu mästen.«
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15. November 2003
Good bye, America!
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Obwohl Vera schon bald sechs Monate alt ist, will sie sich nicht auf den Bauch drehen. Immer noch liegt sie auf dem Rücken wie eine Raupe. Oder sie kriecht, aber auch das auf dem Rücken. Mein Vater sagt:
»Oh, das wird ein faules Stück. Sie kriecht auf dem Rücken wie ein amerikanischer Soldat!«
»Warum?«
»Den amerikanischen Soldaten hat man beigebracht, auf dem Rücken zu kriechen â¦Â«
»Wozu?«
»Wahrscheinlich, damit sie mehr sehen können.«
»Und den russischen Soldaten bringt man das nicht bei?«
»Den russischen Soldaten bringt man das Plündern bei. In Tschetschenien â¦Â«
Ich muss dringend etwas unternehmen. Wieso sollten wir so sein wie die Amerikaner? Wozu das weite Blickfeld?! Ich bin Patriotin. Und meine Tochter erziehe ich auch zur Patriotin.
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20. November 2003
Ein Platz im Gehirn
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Gerade bin ich von der Arbeit gekommen â ich war recht erfolgreich, habe Geld bekommen und die nächsten Aufträge für Interviews abgeholt. Nun bin ich hungrig wie ein Wolf. Ich sitze und esse, neben mir hält meine Mutter Vera auf den Armen. Sie sagt zu mir:
»Den ganzen Tag warst du weg ⦠Sicher hattest du Sehnsucht nach Vera und hast dir Sorgen gemacht, wie es deinem Kind ohne dich geht. Ich erinnere mich an die Zeit, als du klein warst, und wie ich gelitten habe, wenn ich irgendwohin musste!«
Natürlich habe ich durch die Bulette hindurch etwas gemurmelt, dachte aber bei mir, dass entweder mit mir als Mutter irgendetwas nicht stimmt, oder dass meine Mutter in Plauderstimmung war â aus Müdigkeit, sie hatte schlieÃlich Vera zu versorgen ⦠Wie kann man in fünf Stunden Trennung Sehnsucht nach seinem Kind bekommen? Und warum sollte ich überhaupt Sehnsucht nach Vera haben?
Sofort musste ich an die Worte meiner Freundin denken, die mich mal hysterisch angerufen hatte, als ihr einjähriger Mischa auf einer Datscha war. Wobei man ihn ihr schon nach drei Stunden zurückbrachte und sie bereits vor Sehnsucht nach ihm flennte!
Ich verstehe ja die mütterliche Besorgnis darum, wie es dem Kleinen auf der Datscha geht und ob er nicht krank wird ⦠Aber Sehnsucht? Vielleicht ist mit der Frage nach Sehnsucht auch etwas anderes gemeint: Denkst du auch mal an mich?
Ich werde immer an Vera denken, aber ich habe keine Sehnsucht nach ihr.
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21. November 2003
Ich bin eine Antilopen-Mama
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Mutterschaft ist ein vielschichtiger Begriff. Nehmen wir zum Beispiel die Tierwelt und betrachten wir sie aus diesem Blickwinkel. Nicht die leibliche Mutterschaft, sondern die Adoption als höchster Ausdruck selbstloser mütterlicher Liebe. Im Tierreich werden fremde Junge häufig von blutrünstigen Tieren aufgenommen, von Wölfen oder Bären. Die Wölfe fielen vor allem auch dadurch auf, dass sie des Ãfteren Menschen bei sich aufnahmen. (Mowglis Geschichte basiert auf einer wahren Begebenheit, und derartige Beispiele gab es in der Welt an die vierzig oder fünfzig.) Herdentiere hingegen, wie die Antilope, verstoÃen ihre Jungtiere, wenn sie sich eine Zeit lang von der Mutter entfernt haben. Seltsam, aber wahr: die widerliche Hyäne ist bereit, für ihre leiblichen oder aufgenommenen Jungen alle ringsum in Fetzen zu reiÃen,
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