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Fehlt noch ein Baum

Fehlt noch ein Baum

Titel: Fehlt noch ein Baum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irina Tabunowa
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fünfzehnjährigen Sohns, der bei seinem Vater, Olgas Exmann, lebte.
    Sie hatte praktisch rund um die Uhr Aufsicht in einer Privatgalerie, deswegen sahen wir uns nur nachts, wenn ich meine Anfälle von Schwangerenschlaflosigkeit hatte.
    Eine Zeit lang konnte ich überhaupt nicht schlafen. Davon wurde meine Laune nicht gerade besser. Ich lag in der Dunkelheit und hörte, wie hinter der Wand irgendein Nachbar schnarchte. Mein Gehör war so sehr sensibilisiert, dass ich schon fürchtete, zu Batman zu mutieren.
    Und meine Gedanken?
    Warum hatten wir uns getrennt? Das war so dumm gewesen. Mir schien damals, es sei nicht für immer. Dass Veras Vater gleich anrufen würde, mich findet, wiederholt, zurückbringt …
    Und die Wut …
    Schwangerschaft und Mutterschaft sind eine Falle für die Frau. Er hatte es nun leicht. Und ich?
    Er war kein Gefangener seines ihm fremd gewordenen Körpers. Er lebte nach seiner biologischen Uhr. Er war er und nicht der Inkubator für jemand anderen …
    Und wer war ich nun? Ein Tor? Eine Pforte? Eine Durchgangsstation für menschliche Wesen? Würde das alles mit der Geburt des Kindes aufhören? Manchmal reicht ein ganzes Leben nicht aus, um ein Mensch zu werden.
    Vielleicht war es ein Fehler gewesen, ihn zu verlassen? Was hatte er mir denn getan? Er hatte mich nicht geschlagen oder gequält und nur still vor seinen Computerspielen gesessen. Manchmal war er rausgegangen, um mit seinen neuen Dichterfreunden einen zu heben … Aber das hatte er auch früher schon getan, warum hatte es mich plötzlich genervt?
    Â»Das ist der blanke Neid, Ira. Du steckst in einer schöpferischen Krise aufgrund einer schwangerschaftsbedingten Verblödung. Und ich bin im Aufwind. Ich bin Dichter, publiziere im Internet! Lyrik ist eine hochgeistige Angelegenheit. Du solltest mir mit deinen Haaren die Füße waschen, kleine Journalistin …«
    Â»Müssen es die Haare vom Kopf sein?«
    Â»Musst du immer spotten? Das kommt von der Erkenntnis deiner geschlechtlichen Zweitrangigkeit und Unfreiheit!«
    Â»Ja, Liebster, all das ist bei mir schon Vergangenheit, das war einmal …«
    Â»Genau, es war einmal … Und bei mir war es, ist es und wird sein. Ich bin ein Mann, Herr der Welt, frei und unabhängig … ewig jung, ewig blau.«
    Â»Hm, ja, gib mir mal das Salz. So sieht das weibliche Los aus, barfuß in der Küche stehen und auf Odysseus warten, gleichmütig seine Schläge und seinen Verrat ertragen.«
    Â»Ja, so ist es … Du bist ständig mit mir unzufrieden, weil du unzufrieden mit deinem Schicksal und auf mich neidisch bist. Soll ich dir noch Makkaroni auftun?«
    Â»Nein danke. Von welchem Neid sprichst du, Liebster? Ich bete für dich und wünsche dir nur, dass du immer so jung und ewig blau bleibst. Übrigens, vielleicht könntest du mal die Bierflaschen entsorgen? Man kommt schon kaum noch in die Küche rein. Du wirst ein Bieralkoholiker. Und mein Schicksal sind die Freude im Stillen und das duldsame Warten.«
    Â»Ich bringe sie schon noch raus … Warten auf was, entschuldige, oder auf wen?«
    Â»Auf Odysseus, wen denn sonst?«
    Â»Du meinst, es kommt ein Odysseus, wenn du solche Ansichten über Alkohol hast? Bieralkoholismus, was ist das denn für ein Quatsch?«
    Â»Das ist die nächste Frage, die nichts mit Literatur zu tun hat. Vielleicht werde ich ewig auf Odysseus warten. Was meinst du, werde ich ihn noch zu sehen bekommen?«
    Â»Nur, falls Medea noch einmal heiraten sollte, Ödipus zum Beispiel.«
    Ich lese die alten Griechen sehr gern. Und
Medea
von Euripides ist mein absolutes Lieblingsdrama. Denn dort wird über die Tragödie der Mutterschaft reflektiert und die Frage des Fortbestands des Geschlechts behandelt.
    Königin Medea tötete ihre beiden Söhne wegen desVerrats ihres Mannes Jason, der sie für eine Ehe mit einer anderen Frau verlassen hatte.
    Die Heimat Medeas war Kolchis, das liegt im Kaukasus, wenn ich mich nicht irre. Irgendwo in der Gegend von Georgien, Ossetien, vielleicht sogar Tschetschenien. Medea war keine Hellenin und es wäre dumm gewesen, sich mit ihr in der Sprache der sogenannten zivilisierten Menschen zu unterhalten.
    Ãœberhaupt finde ich es beleidigend, wenn man zu mir sagt: Wir sind doch intelligente Menschen! Wer hat gesagt, dass ich intelligent bin? Nur weil ich mit Messer und Gabel esse?
    Also war Jason ein

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