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Feind des Feindes

Feind des Feindes

Titel: Feind des Feindes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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Jesses!«
    Carl konnte sich die eine oder andere Erklärung dafür vorstellen. Er behielt seine Spekulationen jedoch für sich. Der Kollege, der mit dem Finger auf die Schwingen gezeigt und ihn »Seal« genannt hatte, hatte damit ja praktisch eine unverhüllte Botschaft übermittelt, entweder des Inhalts, alle alten Geschichten sind vergessen, obwohl wir genau wissen, wer du bist, oder aber, wir wissen, wer du bist, und in Zukunft mußt du dich ganz schön in acht nehmen, mein Kleiner.
    Carl beschloß vorsichtig, sich an die letztere Deutung zu halten. In der Botschaft durften sie jedoch glauben, was immer sie wollten, daß es etwas mit der Hitze oder Glasnost oder beidem zu tun hatte.
    Nachträglich würde die Begegnung allen als lustige Geschichte in Erinnerung bleiben. Falls nichts Unvorhergesehenes geschah.
    »Wie geht es mit dem EDV-System?« fragte sein Vorgesetzter in der deutlich erkennbaren Absicht, weitere rätselhafte Erscheinungsformen des Glasnost-Geists oder der Hitzewelle nicht mehr zur Sprache zu bringen.
    »Oh, danke, in einer Woche etwa kann ich damit anfangen, den Herren Privatunterricht zu geben, damit wir das System mit wenigen Leuten in Gang setzen können.«
    »Teufel auch. Ich bin zu alt für so was und verstehe kein bißchen von Computern.«
    »Aber mach dir keine Sorgen, wenn das Programm erst mal steht, ist alles wie ein Kinderspiel. Ihr werdet erstaunt sein, wie leicht es geht.«
    »Das bezweifle ich, aber ich hoffe, du hast recht.«
    Die Russen hatten die Begegnung auf Video aufgenommen. Carl war sich vollkommen sicher, da die nicht sonderlich gut versteckte Kamera über der Tür sich ein paarmal bewegt hatte. Dem Winkel nach zu urteilen, hatte sich die Kamera in erster Linie für Carls älteren Kollegen interessiert.
    Was wollten sie damit erreichen, daß sie Kapitän Hessulfs Reaktionen auf ihre munteren Provokationen registrierten? Vielleicht wollten sie wissen, ob Hessulf eher besorgt oder verblüfft war, ob er wußte oder nicht wußte, wer Carl wirklich war: Ob Carl in Moskau war, um in seinem alten Gewerbe weiterzumachen, oder weil er tatsächlich eine neue Laufbahn eingeschlagen hatte.
    Wenn es so war, dachten sie viel zu russisch: Demnach wäre Hessulf eingeweiht und würde nicht nur eventuelle Operationspläne kennen, sondern auch diese Geschichte mit dem Roten Hahn.
    Möglicherweise verhielt es sich so, möglicherweise aber auch nicht. Sie überließen jedenfalls nichts dem Zufall, aber dafür waren sie in der Welt auch die Besten.
    Jedenfalls würde er kein Wort über die Videokamera verlauten lassen. Die Lage war schon besorgniserregend genug. Überdies würde er sich von der Geschicklichkeit des Feindes nicht deprimieren lassen. Jetzt war er hier, und er war hier, um gegen sie zu gewinnen. Auch wenn er Gefahr lief, persönlich einen hohen Preis dafür zu bezahlen.
    Er mietete bei Intourist einen kleinen gelben Lada 1600 und fuhr nach Dienstschluß und kurz vor Beginn der Kneipenzeit zur Übung auf den Straßen Moskaus herum.
    Für Moskau waren die hohe Geschwindigkeit typisch und die Rücksichtslosigkeit gegenüber Verkehrsteilnehmern in kleineren, unwichtig erscheinenden Autos sowie die Rücksichtslosigkeit aller Autofahrer gegenüber Fußgängern. Wer ein Auto fuhr, war grundsätzlich wichtiger als der Genosse, der zu Fuß ging. Wegen eines Fußgängers wurde nie gebremst, und man bremste selbst dann kaum, wenn Fußgänger einem direkt vor die Stoßstangen liefen.
    Die Behördenfahrspur, die Bonzenfahrspur, wurde neuerdings nicht nur von den Wagen der Parteibonzen mit schwarzen Gardinen vor der Heckscheibe benutzt.
    Diplomatenwagen mit roten Kennzeichen durften ebenfalls die Bonzenfahrspur benutzen, ebenso Taxis und Wagen mit gelben Kennzeichen, an denen zu erkennen war, daß sie zu irgendeiner Handelsvertretung gehörten.
    Carl paßte sich der hohen Geschwindigkeit nur widerwillig an. Auf den größten Boulevards lag die Durchschnittsgeschwindigkeit manchmal bei fast hundert Kilometern in der Stunde. Er mußte sich erst eine natürliche Fahrweise aneignen und dann lernen, sich im Wagen in der Stadt zurechtzufinden. Beispielsweise mußte er von jedem beliebigen Punkt in der Innenstadt aus den schnellsten Weg zur schwedischen Botschaft finden, was nicht immer leicht war. Die Botschaft lag etwas abseits und von dem Gebiet aus gesehen, das eines Tages sein Ziel werden würde, auf der falschen Seite des Flusses.
    Er verließ die Innenstadt nicht, sondern hielt sich innerhalb

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