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Feind des Feindes

Feind des Feindes

Titel: Feind des Feindes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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Rede sein könne. Zu einer sogenannten Liquidation eines angeblichen schwedischen Spions in Moskau sei es folglich nie gekommen. Die Sowjetunion lege großen Wert auf diese Feststellung.
    An einem ungewöhnlich kalten Februartag gingen zwei sehr elegante Männer im Gorki-Park spazieren. Der eine trug eine Pelzmütze aus Waschbärfell, der andere eine Zobelmütze, ein Geschenk des friedliebenden sowjetischen Volkes. So hatte es zumindest bei der Übergabe geheißen.
    In Musikalnaja Schisnij und Sowjetskaja Musika, den einflußreichsten Musikzeitschriften der Sowjetunion, hatte eine junge Konzertpianistin für ihr Debüt soeben glänzende Rezensionen erhalten. In der Sowjetskaja Musika fand sich überdies ein ausführliches Porträt mit einer Reportage über Irma Dserschinskaja und ihre lange Ausbildung, die allein schon so etwas wie einen Sieg des sowjetischen Systems darstelle. Die Dserschinskaja habe schon im Alter von sechs Jahren in einer besonderen Musikschule begonnen, ihre Ausbildung an einem Musikgymnasium fortgesetzt und schließlich am Tschajkowski-Konservatorium beendet, wo sie in die »Schule für begabte Kinder und Jugendliche« aufgenommen worden sei, das sowjetische Gegenstück zur Juilliard School of Music in New York, und dort habe sie jetzt im Großen Saal vor einem hingerissenen Publikum debütiert.
    Beide Zeitschriften sagten ihr eine glänzende Zukunft voraus. Und angesichts des entscheidenden Einflusses dieser Zeitschriften im sowjetischen Kulturleben hatte diese glänzende Zukunft schon begonnen.
    Beide Zeitschriften steckten zusammengefaltet in Carls linker Manteltasche. Er hatte sich mit einiger Mühe durch den Text hindurchbuchstabiert, der absolut unzweideutig war, soweit er dies feststellen konnte. A Star was born , wie immer das auf russisch heißen mochte.
    Swesda radilas?
    »Wie war die Begegnung mit Ihrem Botschafter?« fragte Jurij Tschiwartschew.
    »Er war etwas reserviert. Um nicht zu sagen mißtrauisch, um nicht zu sagen wütend«, lächelte Carl.
    »Wieso?«
    »Weil die Iswestija versichert hat, ich hätte in Moskau kein Auftreten an den Tag gelegt, das mit meiner Stellung als Diplomat hier in Moskau unvereinbar gewesen wäre. Er ist davon überzeugt, daß es sich genau andersherum verhält.«
    »Die Welt ist niemals sicher. Haben Sie daran schon gedacht, mein junger Herr Fregattenkapitän?«
    »Ja, besonders in dieser Stadt, sogar in diesem Park. Da hinten, wo die Kinder Schlittschuh laufen, habe ich mit einer angehenden Konzertpianistin in einem Ruderboot gesessen. Sie glaubte damals, wir würden abgehört.«
    »Das wurden Sie nicht, jedenfalls damals nicht. Und zumindest nicht von uns.«
    »Haben Sie das Material studiert?«
    »Ja, sehr genau.«
    »Und Sie schenken ihm Glauben?«
    »Ja, es ist sehr überzeugend. Die Tschekisten hatten einiges Material über diese BPA-Delegation, sogar ein Foto unseres Mannes, als er draußen in einem bestimmten Vorort gerade fotografiert.«
    »Schon da hätte es zu Ende gehen können.«
    »Nein, das ist wenig wahrscheinlich. Die wußten ja nicht, wen wir dort hatten. So was erzählt man diesen Tschekisten nicht.«
    »Dann wären wir also lebenslänglich Feinde geblieben.«
    »Ja. Aber bitten Sie mich nicht darum, Plus und Minus gegeneinander abzuwägen. Stellen Sie sich vor, die Tschekisten belauschen uns«, brummelte Tschiwartschew trocken.
    Carl konnte nicht ausmachen, ob das ein Scherz sein sollte oder nicht.
    Sie gingen eine Zeitlang nebeneinander her. Die Temperatur lag bei zehn bis fünfzehn Grad unter Null, der Atem entwich wie Rauch aus ihren Mündern, und der Schnee knirschte unter den Schuhsohlen.
    »Diese Provokateure«, sagte Jurij Tschiwartschew nachdenklich, »was für eine Strafe bekommen die?«
    »Lebenslänglich, vermute ich. Es heißt so, obwohl es in der Praxis nur etwa acht Jahre werden dürften. Falls kein Psychiater auf die Idee kommt, sie für verrückt zu erklären, denn dann kommen sie schon nach etwa einem Jahr wieder raus. Aber angesichts der politischen Lage glaube ich nicht, daß sich irgendein Psychiater auf eine solche Beurteilung einläßt.«
    »Wollen Sie damit etwa sagen, Ihre Psychiater könnten taktische und politische Rücksichten nehmen?«
    »Ja, das behauptet jedenfalls ein Polizist, den ich kenne.«
    »Lustig, das ist wirklich sehr lustig.«
    »Inwiefern?«
    »Weil wir gerade dabei sind, dieses System politischer Gründe für gerichtspsychiatrische Beurteilungen abzuschaffen. Sie wissen doch, Perestrojka.

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