Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Feind des Feindes

Feind des Feindes

Titel: Feind des Feindes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
Vom Netzwerk:
Carl. Draußen auf dem Fluß passierten langgestreckte Boote mit Touristen, die in drei Schichten übereinandergepackt waren. Genau gegenüber neigte sich der mit Steinplatten belegte Kai ins Wasser, als wäre dort ein Landeplatz für Amphibienfahrzeuge. Ganz unten badeten Kinder und Teenager.
    Ihm fiel das Gespräch mit dem Alten über die Umweltzerstörung ein, die das Baden an der Weichselmündung zu einer tödlichen Gefahr machte. Die Russen hatten offenbar keine tödlichen Flüsse. Carl wurde keine Verbindung mit dem Alten aufnehmen, nicht einmal per Diplomatenpost, nicht einmal, um seinen Standpunkt zu übermitteln, daß Sandström bei der Sicherheitspolizei einen Beschützer haben mußte. Nichts, was er hier in Moskau je sagte oder tat, durfte auch nur die entfernteste Verbindung mit Sandström ahnen lassen.
    Bis zu einem bestimmten Augenblick. Die Verräter zu Hause waren etwas, was man später in Angriff nehmen mußte. Sein eigener Hausmeister lief ja immer noch frei herum, ein sowjetischer Informant, der in der Hektik sich selbst überlassen worden war. Carl hatte seine Wohnung versiegelt und seine sämtlichen Blumen Lallerstedt übergeben, da er keine Lust hatte, sie bei seiner Rückkehr tot vorzufinden.
    In zehn Minuten würde er sich im Gorkij-Park an dem kleinen See mit den Mietbooten befinden. Warum wollte sie sich dort mit ihm treffen? Wollte sie ihm von Anfang an das Gefühl von Sicherheit vermitteln, als ob ein kleines Boot auf so einem Tümpel den Gegner daran hindern könnte, ihn zu belauschen?
    Zu allem Überfluß hieß sie auch noch Dserschinskaja. Das roch stark nach dem schwarzen Humor, den er bei den Bonzen vom Nachrichtendienst im UWS kennengelernt hatte.
    Die Ruderboote kosteten nur ein paar Kopeken pro Stunde. Es gab sie in zwei Farben, rosa und pistaziengrün. Sie wählte kichernd ein rosafarbenes Boot, da es am besten zu ihrem dunkelgrünen Baumwollkleid paßte, das sich vermutlich mit einer pistaziengrünen Achterducht gebissen hätte.
    Er ruderte langsam in den Schatten der großen Weidenbäume und begann, sie ruhig auszufragen, als machte er Konversation über Musik.
    Natürlich war sie Pianistin. Sie hatte mit ihren dreißig Jahren die Ausbildung praktisch beendet. Jetzt ging es darum, ob sie weiterstudieren sollte oder sich als Konzertpianistin bewarb.
    Sie ließ achteraus eine ihrer langen schmalen Hände wohlig durchs Wasser gleiten. Ja, sie heiße tatsächlich Dserschinskaja, nein, das habe nichts mit dem Platz zu tun, auf dem es einen Dserschinski gebe, der dort als Statue herumstehe. Sie lachte aus vollem Hals.
    Wisse er denn nicht, wer Felix Dserschinski gewesen sei? Der Gründer der Geheimpolizei, und jetzt liege das Gebäude des KGB dort, das schon immer in dem großen gelben Bau residiert habe, das wisse doch jedes Kind. Vor der Zeit von Glasnost hätte sie vermutlich kaum gewagt, das laut zu sagen.
    Nein, wenn sie eine solche Verwandtschaft oder solche Verbindungen hatte, wäre die Lage anders, dann wäre sie nicht refusnik.
    Carl tat, als wäre ihm der Begriff unbekannt.
    Also, ein Refusnik sei jemand, der die Ausreise beantragt habe, dem die Genehmigung aber versagt worden sei. Und wenn man einmal einen Ausreiseantrag gestellt habe, versinke einem der Boden unter den Füßen. Selbstverständlich sei es sehr riskant, eine Ausreisegenehmigung zu verlangen, da recht viele verweigert würden. Ein Musiker aber, der nicht für gut genug gelte, um Solist werden zu können, habe in Rußland sowieso keine Zukunft. Sie sagte Rußland und nicht Sowjetunion.
    Sie stelle sich vor, nach Finnland auszureisen, um dort Konzertpianistin zu werden. Zwar müsse man offiziell die Ausreise nach Israel beantragen, aber wenn man erst mal draußen sei, könne man ja selbst wählen. Sie habe einige Verwandte in New York und in Kanada, die auf diese Weise das Land verlassen hätten.
    Die Familie eines Refusniks könne große Schwierigkeiten bekommen. Für ihre Eltern bestehe keine Gefahr, da beide Wissenschaftler seien, die Mutter Physikerin und der Vater Arzt, aber für ihre jüngere Schwester sei die Situation problematisch.
    »Glasnost hat in Moskau vielleicht viel verändert«, fuhr sie fort, »aber für uns Juden ist alles wie gehabt, und darüber gibt es eine ganze Menge jüdische Witze.«
    Sie schwieg eine Zeitlang nachdenklich. Nein, Kontakte mit Ausländern machten ihre Probleme nicht schlimmer, als sie schon seien. Vielmehr hätten sich ihre alten nicht-jüdischen Freunde nach und nach

Weitere Kostenlose Bücher