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Feind des Feindes

Feind des Feindes

Titel: Feind des Feindes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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ihm zu machen? Trank er tatsächlich so viel?
    Das sah fast zu gut aus, um wahr zu sein. Hamilton hatte sich immerhin als außerordentlich fähiger Offizier erwiesen. War es tatsächlich möglich, daß er moralisch so schnell zusammenbrach?
    Zentral neigte zu dieser Schlußfolgerung. Man hatte dort schon gewisse Maßnahmen ergriffen, unter anderem hatten sie diese Pianistin angeworben. Immerhin mußte sie sich um ihre Ausreisegenehmigung sorgen.
    Man erwog aber auch die Alternative mit dem süßen jungen Burschen. Man konnte davon ausgehen, daß er vermutlich keine Lust hatte, aus Moskau ausgewiesen zu werden, wenn man ihn schon dorthin versetzt hatte, weil er zu Hause unbequem geworden war - also eins der altmodischen klassischen Erpressungsobjekte?
    Jurij Tschiwartschew schüttelte den Kopf. Das konnte nicht stimmen. Erstens war diese Methode für weniger sicherheitsbewußte und prestigesüchtigere Personen gedacht als für junge, professionell arbeitende Nachrichtendienstoffiziere.
    Außerdem wäre es in psychologischer Hinsicht verhängnisvoll falsch, soweit Jurij Tschiwartschew den Mann zu kennen glaubte, mit dem er schon soviel zu tun gehabt hatte, ohne ihn je getroffen zu haben.
    Hamilton wäre zutiefst beleidigt, wenn man ihn zu erpressen versuchte, als wäre er nur irgendein simpler Handelsreisender.
    Eine direkte, offene Annäherung wäre weit besser. Aber dazu würde man noch mindestens ein halbes Jahr warten müssen. Eigentlich noch länger, aber so, wie Hamilton sich aufführte, bestand ja ein gewisses Risiko, daß seine Vorgesetzten ihn dabei erwischten und ihn nach Hause schickten, womit er plötzlich außer Reichweite wäre.
    Also mindestens ein halbes Jahr warten und die Entwicklung bis dahin mit Interesse verfolgen. Und dann eine direkte Annäherung statt einer Provokation.
    Das war die Antwort auf die von Moskau gestellte direkte Frage.
    Tschiwartschew empfand sie jedoch als unbefriedigend. Wie war es möglich, daß ein derart professioneller Spion so viele klassische Fehler auf einmal beging? Wie kam es, daß er dabei ständig trotzdem so etwas wie sein Urteilsvermögen behielt? Schließlich beging er nicht einmal das kleinste Vergehen.
    Das war dem trainierten und gedrillten Spion vielleicht in Fleisch und Blut übergegangen. Vielleicht kam die Kriminalität erst später, mit fortschreitendem Verfall; sogar seine Konstitution verschlechterte sich, denn man hatte auf irgendeine Weise feststellen können, daß seine Kondition jetzt zehn oder fünfzehn Prozent schlechter war als bei seiner Ankunft vor einigen Monaten.
    Woher man das wußte? Nun ja, sie behaupteten, es zu wissen. War er zu Hause so unbequem geworden, daß er jetzt herumlief und sich bei verschiedenen Huren beklagte? Hier stand etwas über politische Gründe, über ein hohes Tier in der Regierung, das ihn nicht mochte.
    Jurij Tschiwartschew seufzte. Die Konsequenz war unausweichlich.
    Die Sache mußte nachgeprüft werden. Falls die Meldungen zutrafen, war das wichtig. Also gab es kein Zurück mehr: Er mußte seinen Kollegen fragen, den Tschekisten.
    Da es so unangenehm war, wollte er sich dieser Pflicht lieber gleich entledigen. Jurij Tschiwartschew hatte in seinem Leben schon genügend unangenehme Entschlüsse getroffen, um mit absoluter Sicherheit zu wissen, daß es aussichtslos war, unangenehme Dinge aufzuschieben. Es war besser, sich der Sache gleich anzunehmen, etwa wie bei einem schmerzenden Zahn.
    Er verschloß den Hamilton-Bericht in seinem Panzerschrank und rief über die hausinterne Leitung seinen Kollegen auf der anderen Seite des Gebäudes an. Ja, natürlich könne er gleich kommen. Mit schweren Schritten begab er sich quer durch das Gebäude zur Residentur des KGB, wo die Aussicht auf offenes Wasser und die eigentliche Stadt ihm sehr viel besser gefiel als die triste Klinkerfassade der sowjetfeindlichen Zeitung.
    Es war, als müßte ihm ein Zahn gezogen werden. Es ging schnell, war unangenehm und brachte ein Ergebnis.
    Das KGB wußte genau, worum es ging. Es stimmte, daß Hamilton politisch in Ungnade gefallen sei. Und der Mann, dem er mißfiel, sei kein Geringerer als Staatssekretär Peter Sorman, und der Grund dazu habe etwas mit einem Unternehmen im Nahen Osten zu tun. Während die offizielle schwedische Version bezüglich der Befreiung einiger schwedischer Ärzte, die bei Banditen im Nahen Osten als Geiseln gesessen hatten, lautete, schwedische Diplomaten hätten sie mit phänomenalem Geschick losgeeist, sah die

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